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TITEL
_EIGNUNGSDIAGNOSTIK
personalmagazin 02/18
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
fassen und mithilfe von Algorithmen
analysieren, ob diese auch wirklich lang-
fristig gute Vorhersagen über die künf-
tige Produktivität ermöglichen. Google
hat das zum Beispiel schon gemacht. Sie
haben ihre Tools beim Auswahlverfah-
ren analysiert und überprüft, wie Tests,
Interviews oder der Lebenslauf mit der
späteren Produktivität eines Mitarbeiters
oder einer Mitarbeiterin im Unternehmen
korrelieren. In einem anderen Technolo-
gieunternehmen ist man immer davon
ausgegangen, dass man Computer- oder
Ingenieurwissenschaften studiert haben
muss, um dort erfolgreich im Job zu sein.
Dann hat man evidenzbasierte Software
genutzt und aufgrund von Tests, die den
zukünftigen Aufgaben nachempfunden
waren, herausgefunden, dass Bewerbe-
rinnen und Bewerber mit Lebensläufen,
die früher gleich im Papierkorb gelandet
sind, nämlich Neurowissenschaftlerin-
nen und Psychologen, besonders gute
Leistungen bringen. Damit kann man die
Zielgruppe deutlich erweitern. Big Data
ermöglicht uns, dass wir unsere Tools
besser erforschen und herausfinden, was
wirklich mit der Produktivität des Mitar-
beiters oder der Mitarbeiterin korreliert.
personalmagazin:
Und wenn der Algorith-
mus herausfindet, dass Männer mit
blonden Haaren und Schuhgröße 46
besonders produktiv sind?
Bohnet:
Da kommt natürlich der Daten-
schutz ins Spiel. Die grundlegende Fra-
ge ist: Was ist diskriminierend und darf
nicht im Algorithmus drin sein? Da sind
natürlich die Gesetzgeber gefragt, hier
sinnvolle Regulierungen festzulegen.
„Tüv für Algorithmen nötig“
INTERVIEW.
Harvard-Professorin Iris Bohnet plädiert für eine datenbasierte Personal
auswahl. Allerdings dürfe man sich nicht zu sehr von Algorithmen blenden lassen.
personalmagazin:
Sie behaupten, People
Analytics werde das Personalwesen revo-
lutionieren. Was meinen Sie damit?
Iris Bohnet:
Viele Unternehmen sind schon
heute davon überzeugt, dass sie im Perso-
nalwesen dieselben Maßstäbe von Stren-
ge und Evidenz anwenden müssen, die
sie bereits in der Finanzabteilung oder
im Marketing anwenden. Wenn wir ein
neues Shampoo auf den Markt bringen,
wird alles getestet, die Form der Flasche,
die Farbe und der Geruch. Heute kommt
man nicht mehr darum herum, Dinge
auszuprobieren und zu testen. Personal-
manager müssen diese Testkultur auch
annehmen. Das führt dazu, dass wir nicht
mehr nur dem Bauchgefühl vertrauen,
sondern bei unseren Entscheidungen bei
der Rekrutierung, Leistungsbewertung
und Personalentwicklung durch eine ge-
zielte Datenanalyse systematischer und
analytischer vorgehen.
personalmagazin:
Welche Daten meinen Sie
dabei?
Bohnet:
Das beginnt schon bei der Stel-
lenausschreibung. Erst einmal muss ich
die Kandidaten und Kandidatinnen dazu
bringen, sich überhaupt bei mir zu be-
werben. Heute haben wir schon Algorith-
men, die wir über unsere Sprache laufen
lassen und so analysieren können, ob wir
in einer Stellenanzeige Wörter benutzen,
die etwa Männer und Frauen oder Aus-
länder und Deutsche gleichermaßen an-
sprechen. Begriffe wie „wettbewerbsori-
entiert“ oder „Führungsperson“ sind zum
Beispiel eher männlich. Adjektive wie
„kooperativ“ oder „teamorientiert“ spre-
chen eher Frauen an. Wenn wir solche
Algorithmen einsetzen, gelingt es uns,
den kompletten Talentpool anzusprechen
und nicht nur einen Teil davon. Das ist
evidenzbasiert und funktioniert sehr gut.
personalmagazin:
Und wie geht das bei der
Personalauswahl?
Bohnet:
Da wird es schon schwieriger,
aber auch da können wir den Daten heute
schon mehr vertrauen als unserem Bauch-
gefühl. Die Forschung zeigt, dass unstruk-
turierte Interviews eine der schlechtesten
Methoden für eine gute Personalauswahl
sind, aber sie werden noch immer sehr
häufig von Personalmanagern genutzt.
Stattdessen könnte man Kompetenzen
und Skills für einen bestimmten Job er-
IRIS BOHNET
ist Verhaltensökonomin und
Professorin für Public Policy an der Harvard
Kennedy School. Zudem ist sie Aufsichtsrä
tin bei der Schweizer Bank Credit Suisse.