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MANAGEMENT
_WISSENSCHAFTSTRANSFER
personalmagazin 03/16
O
rganisationen bestehen aus
Menschen, die viel wissen.
Große Organisationen bestehen
aus ganz vielen Menschen, die
noch viel mehr wissen. Deren Kenntnis
se und Fähigkeiten als Schatz zu heben,
ist Aufgabe des Wissensmanagements.
Dessen Start in den 1990ern, mit der be
ginnenden Digitalisierung sowie ersten
Ansätzen webbasierter Interaktion, war
mit immensen Ambitionen verbunden.
Allerdings ist inzwischen die „Lernende
Organisation“ oder zumindest ihre virtu
elle Variante auf den Boden der Tatsachen
gestellt worden. Menschen tauschen sich
über virtuelle Kanäle aus, sendenWissen,
holen Wissen, stellen Fragen, geben Ant
worten, aber weitaus weniger als möglich
wäre. Oft zitiert ist die Einsicht des ehe
maligen Chefs eines deutschen Indus
triegiganten, Heinrich von Pierer: „Wenn
Siemens wüsste, was Siemens weiß“.
Im Wissensmanagement gibt es zwei
zentrale Strategien: Die Kodifizierung,
also die systematische Erhebung und Be
reitstellung von Wissen in Datenbanken,
aus denen sich der Suchende selbst be
dienen kann. Und die Personifizierung,
also die menschliche Interaktion zwi
schen Suchenden und ausgewiesenen
Experten als Lösungsgeber. Das große
Versprechen der Kodifizierung konnte
nicht eingelöst werden, allenfalls bei
simplen Themen: fertige Antworten auf
häufige Fragen per Knopfdruck. Men
schen vertrauen einer virtuellen Quelle
nicht alleine deshalb, weil sie irgendwo
in ihrer Organisation entspringt. Zur
Von
Martin Claßen
und
Christian Gärtner
Naher und ferner Austausch
SERIE.
Menschen tauschen sich über Distanz weit weniger aus als in Zeiten web
basierter Kommunikation möglich wäre. Warum das so ist, zeigt eine Studie.
Überbrückung bisheriger Wissenssilos
schwenken manche Unternehmen des
halb um auf interaktive Foren, die nicht
bloß eine virtuelle Antwort bieten, son
dern einen Eindruck über deren Her
kunft, etwa in Form von Info über die Rat
gebenden Kollegen. Wie gut der Online-
Wissensaustausch in der Praxis klappt,
haben drei amerikanische Forscher in ei
ner methodisch und analytisch aufwen
dig angelegten Studie untersucht.
Was man sich merken sollte
Bei der Einführung von Wissensforen
in einer Organisation wird zunächst
deutlich mehr der „nahe“ Austausch
angenommen, also der Rückgriff auf
Antworten von Kollegen aus dem selben
Standort und der gleichen Hierarchie.
Getreu dem Motto: Warum in die Ferne
schweifen, wenn doch das Gute liegt so
nah. Einer uralten psychologischen Er
kenntnis folgend, schätzen Menschen
andere Menschen besonders dann,
wenn diese auf den ersten Blick wenig
anders und recht gleich sind. Erst mit
zunehmender Anwendung wagt sich
ein User peu à peu an den „fernen“
Austausch, gerade wenn das anfänglich
Fremde als annehmbares Expertenwis
sen erkannt wird und sich daraus Nähe
entwickelt. Für diesen Schritt über zu
nächst begrenzte Suchmuster hinaus
braucht es Zeit, in der Sicherheit und
Vertrauen wachsen. Mehr und mehr
wendet man sich an Kollegen mit ähn
licher Expertise. Mit ihnen spricht man
die gleiche Sprache, teilt ähnliche Wer
degänge und hat vergleichbare Erfah
rungen. Für Online-Foren gilt: wer sich
länger in ihnen tummelt, findet eher he
raus, mit wem aus der Organisation ein
sinnvoller Wissensaustausch aufgrund
der geografischen oder hierarchischen
Nähe und mit wem aufgrund der profes
sionellen Herkunft nützlich ist.
Für wen oder was das Ganze gilt
Die Studie basiert auf umfassenden
Längsschnittdaten einer multinationalen
Firma aus der IT-Beratung, also einer per
se für virtuelles Wissensmanagement of
fen eingestellten Klientel. Die Ergebnisse
gelten – wie jede evidenzbasierte For
schung – zunächst nur für dieses Setting.
Es gibt aber nichts, das einer Übertra
gung auf andere Umstände und damit ei
ner breiten Anwendbarkeit widerspricht.
Der wichtigste und der
nachdenklichste Satz
Der wichtigste Satz lautet: „Die digitale
Welt ist längst nicht so ,flach‘ geworden,
wie es gelegentlich behauptet wird. Die
Ergebnisse zeigen, dass räumliche Nähe
immer noch der Ausgangspunkt ist, um
online Kontakte zu knüpfen. Allerdings
verschiebt sich durch IT der Fokus von
Nachbarschaft auf Interessen.“
Der nachdenklichste Satz lautet: „In
online-basierten Wissensforen ist es ei
ne echte Herausforderung, dem Frage
steller eine adäquate, um nicht zu sagen
intelligente Antwort zu geben.“
Konsequenzen fürs HR-Management
Für den Wissensaustausch mit Kolle
gen über größere Distanzen, also mit
anderen Standorten und erst recht in
entfernte Regionen, braucht es Zeit, bis