personalmagazin 03/2016 - page 34

34
MANAGEMENT
_WISSENSCHAFTSTRANSFER
personalmagazin 03/16
O
rganisationen bestehen aus
Menschen, die viel wissen.
Große Organisationen bestehen
aus ganz vielen Menschen, die
noch viel mehr wissen. Deren Kenntnis­
se und Fähigkeiten als Schatz zu heben,
ist Aufgabe des Wissensmanagements.
Dessen Start in den 1990ern, mit der be­
ginnenden Digitalisierung sowie ersten
Ansätzen webbasierter Interaktion, war
mit immensen Ambitionen verbunden.
Allerdings ist inzwischen die „Lernende
Organisation“ oder zumindest ihre virtu­
elle Variante auf den Boden der Tatsachen
gestellt worden. Menschen tauschen sich
über virtuelle Kanäle aus, sendenWissen,
holen Wissen, stellen Fragen, geben Ant­
worten, aber weitaus weniger als möglich
wäre. Oft zitiert ist die Einsicht des ehe­
maligen Chefs eines deutschen Indus­
triegiganten, Heinrich von Pierer: „Wenn
Siemens wüsste, was Siemens weiß“.
Im Wissensmanagement gibt es zwei
zentrale Strategien: Die Kodifizierung,
also die systematische Erhebung und Be­
reitstellung von Wissen in Datenbanken,
aus denen sich der Suchende selbst be­
dienen kann. Und die Personifizierung,
also die menschliche Interaktion zwi­
schen Suchenden und ausgewiesenen
Experten als Lösungsgeber. Das große
Versprechen der Kodifizierung konnte
nicht eingelöst werden, allenfalls bei
simplen Themen: fertige Antworten auf
häufige Fragen per Knopfdruck. Men­
schen vertrauen einer virtuellen Quelle
nicht alleine deshalb, weil sie irgendwo
in ihrer Organisation entspringt. Zur
Von
Martin Claßen
und
Christian Gärtner
Naher und ferner Austausch
SERIE.
Menschen tauschen sich über Distanz weit weniger aus als in Zeiten web­
basierter Kommunikation möglich wäre. Warum das so ist, zeigt eine Studie.
Überbrückung bisheriger Wissenssilos
schwenken manche Unternehmen des­
halb um auf interaktive Foren, die nicht
bloß eine virtuelle Antwort bieten, son­
dern einen Eindruck über deren Her­
kunft, etwa in Form von Info über die Rat
gebenden Kollegen. Wie gut der Online-
Wissensaustausch in der Praxis klappt,
haben drei amerikanische Forscher in ei­
ner methodisch und analytisch aufwen­
dig angelegten Studie untersucht.
Was man sich merken sollte
Bei der Einführung von Wissensforen
in einer Organisation wird zunächst
deutlich mehr der „nahe“ Austausch
angenommen, also der Rückgriff auf
Antworten von Kollegen aus dem selben
Standort und der gleichen Hierarchie.
Getreu dem Motto: Warum in die Ferne
schweifen, wenn doch das Gute liegt so
nah. Einer uralten psychologischen Er­
kenntnis folgend, schätzen Menschen
andere Menschen besonders dann,
wenn diese auf den ersten Blick wenig
anders und recht gleich sind. Erst mit
zunehmender Anwendung wagt sich
ein User peu à peu an den „fernen“
Austausch, gerade wenn das anfänglich
Fremde als annehmbares Expertenwis­
sen erkannt wird und sich daraus Nähe
entwickelt. Für diesen Schritt über zu­
nächst begrenzte Suchmuster hinaus
braucht es Zeit, in der Sicherheit und
Vertrauen wachsen. Mehr und mehr
wendet man sich an Kollegen mit ähn­
licher Expertise. Mit ihnen spricht man
die gleiche Sprache, teilt ähnliche Wer­
degänge und hat vergleichbare Erfah­
rungen. Für Online-Foren gilt: wer sich
länger in ihnen tummelt, findet eher he­
raus, mit wem aus der Organisation ein
sinnvoller Wissensaustausch aufgrund
der geografischen oder hierarchischen
Nähe und mit wem aufgrund der profes­
sionellen Herkunft nützlich ist.
Für wen oder was das Ganze gilt
Die Studie basiert auf umfassenden
Längsschnittdaten einer multinationalen
Firma aus der IT-Beratung, also einer per
se für virtuelles Wissensmanagement of­
fen eingestellten Klientel. Die Ergebnisse
gelten – wie jede evidenzbasierte For­
schung – zunächst nur für dieses Setting.
Es gibt aber nichts, das einer Übertra­
gung auf andere Umstände und damit ei­
ner breiten Anwendbarkeit widerspricht.
Der wichtigste und der
nachdenklichste Satz
Der wichtigste Satz lautet: „Die digitale
Welt ist längst nicht so ,flach‘ geworden,
wie es gelegentlich behauptet wird. Die
Ergebnisse zeigen, dass räumliche Nähe
immer noch der Ausgangspunkt ist, um
online Kontakte zu knüpfen. Allerdings
verschiebt sich durch IT der Fokus von
Nachbarschaft auf Interessen.“
Der nachdenklichste Satz lautet: „In
online-basierten Wissensforen ist es ei­
ne echte Herausforderung, dem Frage­
steller eine adäquate, um nicht zu sagen
intelligente Antwort zu geben.“
Konsequenzen fürs HR-Management
Für den Wissensaustausch mit Kolle­
gen über größere Distanzen, also mit
anderen Standorten und erst recht in
entfernte Regionen, braucht es Zeit, bis
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...84
Powered by FlippingBook