personalmagazin 2/2016 - page 60

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RECHT
_RECHTSPRECHUNG
personalmagazin 02/16
A
rbeitsrecht ist Richterrecht!
Dieser in den Fünfzigerjahren
geprägte Grundsatz wird mit
Blick auf die in den vergan-
genen Jahrzehnten in Kraft getretenen
zahlreichen neuen Gesetze immer wie-
der infrage gestellt. Dass Arbeitsrecht
aber gleichwohl Richterrecht bleibt,
zeigt der Blick auf das Rechtsprechungs-
jahr 2015, in dem sich wieder einmal ge-
zeigt hat: Nicht der Mangel an Gesetzen
ist häufig der Grund für den Gang zu
den Arbeitsgerichten, sondern die Viel-
falt der Arbeitswelt, bei der sich Sachver-
halte entwickeln, an die der Gesetzgeber
bei Formulierung seiner Normen offen-
sichtlich nicht gedacht hat. Neben dieser
Aufgabe müssen sich die Richter aber
auch noch zunehmend mit der Frage
befassen, ob „alte“ und bisher klare
Gesetzesformulierungen dem Maßstab
höherrangigen, gegebenenfalls europä-
ischer Rechtsnormen noch standhalten.
Die nachfolgenden Highlights aus der
Rechtsprechung 2015 sollen diese viel-
schichtige Aufgabenbewältigung des
Bundesarbeitsgerichts verdeutlichen.
Urlaubsanspruch: Altes Gesetz versus
moderne Beschäftigungsformen
Mit einer Entscheidung aus dem Febru-
ar 2015 legt das Bundesarbeitsgericht
den Finger in eine seit Langem offene
Wunde. Es geht wieder einmal um die
Frage, ob der Gesetzgeber Lösungen für
die Urlaubsberechnung und Abwicklung
von Teilzeitbeschäftigten vorhält. Die
Antwort lautet nein, denn das Bundesur-
Von
Thomas Muschiol
laubsgesetz stammt aus Zeiten, in denen
der Gesetzgeber lediglich die Vollzeittä-
tigkeit im Auge hatte. So ist bis heute
dem Gesetz selbst nicht zu entnehmen,
wie ein Urlaubsanspruch von Teilzeitbe-
schäftigten zu berechnen ist, sodass hier
schon seit eh und je die Rechtsprechung
als Lückenfüller herhaltenmusste. Schon
gar nicht kommt das Gesetz mit moder-
nen Arbeitsformen zurecht, bei denen
Arbeitnehmer unterjährig von Teilzeit
in Vollzeit und umgekehrt wechseln. Um
die damit zusammenhängenden Proble-
me einigermaßen praxisgerecht in den
Griff zu bekommen, sind hier teilweise
Tarifvertragspartner eingesprungen. So
beispielsweise im Tarifvertrag für den
öffentlichen Dienst (TVöD). Leider kei-
ne rechtmäßige Lösung, so entschied
das BAG im Hinblick auf seine Pflicht
zum Blick auf höherrangiges Recht.
Eine solche tarifliche Klarstellung, sei
wegen des Verstoßes gegen das Verbot
der Diskriminierung von Teilzeitkräften
unwirksam.
Urteil vom 10.2.2015, 9 AZR 53/14
Datenschutz: BAG als Lückenbüßer für
den Verzug des Gesetzgebers
Unter welchen Voraussetzungen und mit
welchen technischen Geräten dürfen Mit-
arbeiter heimlich überwacht werden? Das
war eines von vielen wichtigen Themen,
das im sogenannten Beschäftigtendaten-
schutzgesetz einigermaßen rechtssicher
definiert werden sollte. Das Gesetz fiel
bekanntlich politischen Querelen zum
Opfer und schlummert mittlerweile seit
vier Jahren in den parlamentarischen
Archiven. Den Streitfällen mit Berührung
zum Datenschutz kann sich das Bundes-
arbeitsgericht jedoch nicht mit dem Hin-
weis auf „Nichtstun des Gesetzgebers“
entziehen. So muss es weiterhin die
Rechtmäßigkeit der Mitarbeiterüberwa-
chung nach dem Maßstab des allgemei-
nen Bundesdatenschutzgesetzes beurtei-
len, welches nach einhelliger Auffassung
aller Fachleute für die Umsetzung auf
die betriebliche Praxis völlig untauglich
ist. Die Folge: Das BAG bewegt sich in
einem Urteil aus dem Februar 2015
gezwungenermaßen „freihändig“ und
stellt fest: Die Überwachung eines Ar-
beitnehmers, ohne dass diese auf kon-
kreten Tatsachen beruht, ist eine rechts-
widrige Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts und kann einen
Entschädigungsanspruch in Form eines
Schmerzensgeldes begründen.
Urteil vom 19.2.2015, 8 AZR 1007/13
AGB im Arbeitsrecht: BAG muss
Schuldrechtsreform ausbaden
Dieses Datum dürfte jedem Arbeitsrecht-
ler präsent sein: Am 2. Januar 2002 trat
die Schuldrechtsreform in Kraft. Ein-
gefügt wurde damit auch das Recht der
Allgemeinen
Geschäftsbedingungen
(AGB) in das Bürgerliche Gesetzbuch.
Dies mit einer – mancherorts als parla-
mentarisches „Versehen“ bezeichneten
– Folge: Die Vorschriften zum AGB-Recht
sind seitdem auch auf Arbeitsverträge
anzuwenden. Das die damit zusammen-
hängenden Auslegungsprobleme über
die Wirksamkeit von arbeitsrechtlichen
Vertragsklauseln noch lange nicht zu
Ende sind, zeigt ein Urteil des BAG aus
dem März 2015. Zu entscheiden war über
Selbst der Zirkus war BAG-Thema
RÜCKBLICK.
Urlaub, Streik, AGB: Das BAG hat sich im Jahr 2015 mit vielen Facetten
des Arbeitsrechts beschäftigt – was auch der jährliche Rechtsprechungsreport zeigt.
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