personalmagazin 2/2016 - page 70

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personalmagazin 02/16
PERSÖNLICH
_SELBSTMANAGEMENT
S
eit unserem Start in Cancun,
Mexiko, sind erst zwei Stunden
vergangen. Nachtflüge stellen
für uns Piloten eine besondere
Herausforderung dar, gerade in Kombi-
nation mit Jetlag und extremen Klimaun-
terschieden. Ich nippe an meinem Kaffee
und blicke hinunter auf die Lichter der
amerikanischen Ostküste, als eine unse-
rer Flugbegleiterinnen über das Bordtele-
fon anruft. „Wir haben hier hinten einen
Notfall! Eine Passagierin ist zusammen-
gebrochen … die stirbt!“ In meiner Müdig-
keit dauert es ein bis zwei Sekunden, bis
ich den Inhalt dieser Worte verarbeitet
habe und reagieren kann. „Ruf einen Arzt
unter den Passagieren aus, wir gehen so-
fort runter“, höre ich mich dann sagen.
Navi in der Not
In Situationen wie diesen ist es gut, ei-
nen „mentalen Rettungsanker“ zu ha-
ben – einen Notfallplan, der sagt, was
zu tun ist. Aus der Luftfahrt sind diese
Entscheidungshilfen nicht mehr wegzu-
denken. Schließlich können wir, wenn
ein Triebwerk brennt, nicht mal eben
rechts ranfahren. Notfälle bedeuten
immer, unter Zeitdruck eine schwie-
rige und folgenschwere Entscheidung
treffen zu müssen. Das „Crew Resource
Management“ hilft Piloten dabei, indem
es wie ein Werkzeugkasten für sämtli-
che Herausforderungen ein passendes
Werkzeug parat hält. Statt in Panik
überstürzt zu handeln oder in Schock-
starre zu verfallen, greifen wir mental
in den Werkzeugkasten. Eines der ins-
Von
Philip Keil
gesamt zehn Werkzeuge ist der Kom-
pass: eine Navigationshilfe für schwieri-
ge Entscheidungen unter Zeitdruck.
Personaler sehen sich eher selten
mit Entscheidungen konfrontiert, von
denen hunderte Menschenleben ab-
hängen. Aber jeder kennt sicherlich die
quälenden Stunden, Tage oder Wochen,
in denen sich alles um die bange Frage
dreht: „Was, wenn ich die falsche Ent-
scheidung treffe?“
In jener Nacht des Notfalls bestand die
schwierige Entscheidung darin, zu ent-
scheiden, wo ich lande. Während ich mit
dem Steuern des Flugzeugs beschäftigt
war, mussten mein Kollege und ich mit
dem Tower funken und einen Flughafen
finden, der die Voraussetzungen für eine
sichere Landung erfüllt: eine passende
Landebahn, ein Anflugsystem, die me-
dizinische Versorgung und vieles mehr.
Obwohl jede Sekunde zählte, mussten wir
den Anflug exakt planen und durchspre-
chen, um nicht die restlichen Leben an
Bord zu gefährden. Bevor ich unsere men-
tale Checkliste für diese Entscheidungen
vorstelle, möchte ich einen Blick auf Fall-
stricke und Denkfehler werfen, mit denen
wir uns oft selbst im Weg stehen.
Fallstricke und Denkfehler
Wer sich bei einer Entscheidung stän-
dig vor den Konsequenzen einer
Fehlentscheidung fürchtet, wird sehr
wahrscheinlich eine angstgetriebene
Entscheidung fällen und wesentliche
Gesichtspunkte übersehen. Oder er wird
möglicherweise gar keine Entscheidung
treffen, nach dem Motto: „Wer nichts
macht, macht nichts falsch!“. Es ist je-
doch bewiesen, dass Unternehmen mit
einer positiven Fehlerkultur seltener
Entscheiden mit System
CHECKLISTE.
Wenn schwierige Entscheidungen unter Zeitdruck zu treffen sind, helfen
klare Werkzeuge. Ein Berufspilot stellt seinen Entscheidungskompass vor.
Was Fach- und Führungskräfte von Berufspiloten lernen können, erläutert Philip Keil in
seinem Buch „Ready for Takeoff“, in dem er zehn Strategien aus dem Cockpit vorstellt.
Wie holt man im Job das Beste aus sich heraus, ohne dabei in Stress
zu verfallen? Dieser Frage widmet sich das Buch aus der Perspektive
der Berufspiloten. Damit Piloten in Notfällen schnell und souverän
agieren können, erlernen sie das „Crew Resource Management“ –
Der Autor überträgt dieses auf den privaten und beruflichen Alltag
seiner Leser. Inhaltlich geht es unter anderem um das Zeit- und
Krisenmanagement, um Führung, Kommunikation und Teamwork.
Souverän mit System
BUCHTIPP
Philip Keil: Ready for Takeoff. 240 Seiten, Goldegg Verlag, Berlin, 2016.
19,95 Euro.
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