PERSONALquarterly 1/2016 - page 50

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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 01/16
E
ines der charakteristischen Merkmale, die das strate-
gische HRM von der klassischen Personalverwaltung
abgrenzt, ist die Übertragung von HRM-Verantwort-
lichkeiten an das Linienmanagement, um Personal-
spezialisten mehr Freiraum für konzeptionelle Tätigkeiten zu
geben. Für Linienmanager geht damit eine höhere Autonomie
hinsichtlich ihres „People Managements“ einher. Das kann
durchaus Vorteile haben: Linienmanager können ihre Ent-
scheidungen näher an den operativen Erfordernissen ausrich-
ten sowie flexibler und schneller auf Belange ihrer Mitarbeiter
reagieren, als das eine zentralisierte Personalfunktion mit stan-
dardisierten HR-Praktiken leisten kann. Andererseits können
Linienmanager die Bemühungen der Personalabteilung, mit
HR-Richtlinien zum Erfolg der Organisation beizutragen, unter-
minieren, indem sie die ihnen übertragenen Personalmanage-
ment-Verantwortlichkeiten gegenüber der operativen Arbeit
vernachlässigen oder HR-Richtlinien in Praktiken übertragen,
die der ursprünglichen Intention zuwiderlaufen. So wenig eine
pauschale Befürwortung oder Ablehnung der Einbeziehung des
Linienmanagements in das Personalmanagement möglich ist,
so unklar sind die Bedingungen, unter denen das Linienma-
nagement in das Personalmanagement einbezogen wird.
Brewster und Kollegen knüpfen hier auf Basis der interna-
tionalen Personalmanagement-Studie des „Cranfield Network
on International Human Resource Management“ (Cranet) aus
2008/2009 an: Die Autoren können zeigen, dass die Wahr-
scheinlichkeit, HR-Verantwortlichkeiten an das Linienmanage-
ment zu übertragen, in kleinen (versus großen) Organisationen,
Organisationen mit wenigen (versus vielen) gewerkschaftlich
organisierten Arbeitnehmern und in den nordischen Ländern
sowie den koordinierten Marktwirtschaften wie bspw. Deutsch-
land (versus den liberalen Marktwirtschaften wie bspw. den
USA) höher ist. Hinsichtlich dieser Faktoren finden die Auto-
ren ihre Hypothesen bestätigt: Mit zunehmender Organisati-
onsgröße können überhaupt erst HR-Verantwortlichkeiten in
einer Personalabteilung zentralisiert werden, sodass in kleinen
Organisationen per se primär Linienmanager für das Perso-
nalmanagement verantwortlich sind; je weniger Arbeitnehmer
gewerkschaftlich organisiert sind, desto geringer ist der Druck,
standardisierte, konsistent angewendete HR-Praktiken sicher-
HRM in den Händen
des Linienmanagements
Chris Brewster
(University of Reading),
Michael Brookes
(Middlesex University), und
Paul J. Gollan
(Macquarie Univer-
sity): „The institutional antecedents of the assignment of HRM
responsibilities to line managers”. Human Resource Manage-
ment, 2015, Vol 54, No. 4, pp. 577–597.
zustellen, was eine Übertragung von HR-Verantwortlichkeiten
an das Linienmanagement erlaubt; in den liberalen Marktwirt-
schaften sprechen die schlechtere Ausbildung von Linienmana-
gern sowie die Bevorzugung von Kontrolle gegenüber Vertrauen
dafür, die Personalfunktion zu zentralisieren, um eine größt-
mögliche Standardisierung von HR-Praktiken sicherzustellen.
Anders als erwartet hat der Anteil an hoch qualifizierten
Mitarbeitern in der Belegschaft keinen Einfluss auf die Ent-
scheidung zur Einbindung von Linienmanagern in das Per-
sonalmanagement. Dieser Befund ist insofern überraschend,
als sich die Tätigkeiten zwischen hoch qualifizierten Mitarbei-
tern in der Regel stärker voneinander unterscheiden als die
zwischen geringer qualifizierten Mitarbeitern, was für hoch
qualifizierte Belegschaften einen höheren Bedarf an Differen-
zierung von HR-Praktiken (durch das Linienmanagement) im-
pliziert.
Zudem wird das Linienmanagement entgegen den Erwar-
tungen bei strategischer Ausrichtung der Personalfunktion sel-
tener mit HR-Verantwortlichkeiten ausgestattet. Dieser Befund
kann als Indiz dafür gesehen werden, dass der im Vergleich zu
einer auf Personalverwaltung konzentrierten Personalfunktion
höhere Stellenwert einer strategisch ausgerichteten Personal-
funktion nur bei ungeteilter Verantwortlichkeit gegenüber der
obersten Führungsebene legitimiert werden kann.
Einschränkend muss angemerkt werden, dass Brewster und
Kollegen mit den untersuchten Faktoren nur einen kleinen Teil
der Heterogenität zwischen Organisationen in der Entschei-
dung für oder wider die Einbindung des Linienmanagements
in das Personalmanagement erklären können – wegweisend
ist in dieser Hinsicht die Entwicklung in der Organisations-
forschung, pro Organisation mehrere Befragte verschiedener
Funktionsbereiche und Hierarchieebenen zu adressieren, um
ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten.
Zudem differenzieren Brewster und Kollegen nicht weiter zwi-
schen den Bereichen, in denen HR-Verantwortlichkeiten zwi-
schen Linienmanagement und Personalmanagement prinzipiell
geteilt werden können. In Bezug auf die allgemeine Einbindung
der Linienführungskräfte in das Personalmanagement ist jedoch
nicht unerheblich, ob das Linienmanagement bspw. „nur“ in
Personalrekrutierung und -auswahl eingebunden ist (das ist in
mehr als der Hälfte der befragten Unternehmen der Fall) oder in
das Management der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen
(das trifft nur auf ein Drittel der befragten Unternehmen zu).
Besprochen von
Benjamin P. Krebs
, Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn
1...,40,41,42,43,44,45,46,47,48,49 51,52,53,54,55,56,57,58,59,...60
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