Immobilienwirtschaft 6/2019 - page 19

19
0
6.2019
I
n Berlin erleben wir, was passiert, wenn Aktivisten und Bürgerinitiativen die Politik
mit den verständlichen Ängsten der Menschen vor Mieterhöhung und Verdrängung
zu irrationalen und nicht erfüllbaren Maßnahmen treiben. Aus den Protesten gegen
die Mietenpolitik einzelner Vermieter hat sich die Stimmung mittlerweile so hoch
geschaukelt, dass Teile der Politikmit demgeplantenVolksentscheid zur Verstaatlichung
der Immobilienbestände der DeutscheWohnen undweiterer Immobilienkonzerne sym­
pathisieren, obwohl dies weder rechtlich noch finanziell möglich sein dürfte und den
Wohnungsmarkt nicht entspannt. Aus der berechtigtenWut über Einzelfälle werden un­
vernünftige Scheinlösungen zu realen Problemlösungen hochstilisiert. Aber Wut macht
keine gute und sozial verantwortliche Wohnungspolitik und baut keine Wohnungen.
Das Einzige, was den Wohnungsmarkt wirklich entspannt, sind mehr Neubau, kos
teneffiziente und sozialverträgliche Modernisierungsstrategien und die Sicherung von
bezahlbaren Bestandswohnungen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die öffentliche
Hand selbst die Baukosten und damit die Kostenmiete nach oben treibt. In Berlinwürden
die Entschädigungsmilliarden für den notwendigen Neubau und die Förderung von
mehr bezahlbarem Wohnraum ebenso fehlen wie für finanzielle Anreize für Klima­
schutzmaßnahmen. Darüber hinaus werden weitere Investitionen in die unzureichende
Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur gefährdet. Denn ab 2020 gilt die Schuldenbremse.
Diese schränkt den finanziellen Spielraum für eine Verstaatlichung insgesamt ein, sodass
die Finanzierung nicht zu leisten sein dürfte.
RECHTSSICHERHEIT MÜSSTE IN LANGWIERIGEN PROZESSEN GEPRÜFT WERDEN
Inwieweit die
Enteignung verfassungskonform und für die Berliner Situation verhältnismäßig wäre,
müssten Gerichte in langwierigen Prozessen klären. Die Aussicht auf „Erfolg“ ist höchst
unwahrscheinlich, wie das Gutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Helge Sodan
belegt. Auch die Höhe der Entschädigung würde zu langen Rechtsstreitigkeiten führen.
In der Summe ergibt dies jahrelangen Stillstand für dieWohnungsbaupolitik, nochmehr
Unsicherheit für Mieter und weitere Demokratieverdrossenheit. Denn der „Volkswille“
ließe sich rechtlich und finanziell gar nicht umsetzen. Dem Wirtschaftsstandort Berlin
schadet die Enteignungsdebatte bereits heute, da private Investoren und Unternehmen
sehr sensibel auf schwindende Rechtssicherheit und politische Verlässlichkeit reagieren.
Die Politik muss deshalb dem „Abenteuer“ Verstaatlichung endlich eine klare Ab­
sage erteilen. Gleichzeitig muss Berlin ein breites Aktionsbündnis mit der gesamten
Wohnungswirtschaft schließen, um gemeinsam wirklich zielführende und tragfähige
Lösungen verbindlich zu vereinbaren. Dazu gehört vor allem auch die gemeinwohl-
orientierte Bauland- und Bodenpolitik. Denn um die Wohnungsmarktprobleme zu
lösen, hilft nicht Konfrontation, sondern nur ein konstruktives Zusammenwirken aller
Marktakteure – von den landeseigenenWohnungsunternehmen und Genossenschaften
über die Immobilienkonzerne bis hin zu den vielen mittelständischen Bestandshaltern
und Privatvermietern, die den Großteil des Berliner Wohnungsmarktes ausmachen.
Die Politik von Bund, Ländern und Kommunen darf die Berliner Situation darüber
hinaus nicht auf alle Wohnungsmärkte übertragen. In kürzester Zeit sind die Mieten in
der Hauptstadt von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau enorm gestiegen und treffen
auf eine in großen Teilen noch immer einkommensschwache Bevölkerung. Damit ist
und bleibt Berlin ein Sonderfall und darf nicht zum Maßstab der Politik werden.
Wut baut keine Wohnungen –
Enteignung auch nicht
Keine Lösung
Für eine
vernünftige Wohnungspolitik
sind die wachsenden Sym-
pathien für die Enteignungs-
befürworter in Berlin brand-
gefährlich. Neue Wohnungen
werden so definitiv nicht
geschaffen.
«
Foto: DV, Manuela Schaedler
Der Enteignungsversuch wird zu einem
jahrelangen Stillstand für die Wohnungs­
baupolitik führen, meint Michael Groschek.
Michael Groschek, Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,...76
Powered by FlippingBook