Immobilienwirtschaft 6/2019 - page 10

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
ENTEIGNUNGSDEBATTE
Staatliche Eingriffe haben Grenzen
D
ie Berliner Bürgerinitiative „Deut­
scheWohnen&Co. enteignen“ strebt
die Verstaatlichung von privaten
Wohnungsunternehmen mit mehr als
3.000 Wohnungen an. Sie will dies mittels
eines Volksbegehrens erreichen, das den
Berliner Senat zur Vorlage eines entspre­
chenden Gesetzentwurfs auffordert. Die
Berliner Debatte hat inzwischen bundes­
weit eine grundsätzliche Diskussion über
die Eckpfeiler der deutschen Wirtschafts­
verfassung ausgelöst. Für die Immobilien­
wirtschaft stellt sich die Frage, welche Ein­
griffe sie aufgrund der Sozialbindung des
Eigentums hinnehmenmuss. Als Antwort
zeichnet sich ein anderes Bild ab als das
der Berliner Bürgerinitiative.
Das Land Berlin
muss ganz andere
Instrumente nutzen
Eine Verstaatlichung von privaten
Wohnungsunternehmen stellt bereits aus
verfassungsrechtlichen Gründen keinen
gangbaren Weg dar, um das Problem des
Mangels an bezahlbarem Wohnraum zu
lösen. Das Grundgesetz (GG) erlaubt in
Art. 15 zwar grundsätzlich eine Vergesell­
schaftung, das heißt die Verstaatlichung
von Grund und Boden gegen angemes­
sene Entschädigung. Das Vorhaben der
Bürgerinitiative ist jedoch aus einer Viel­
zahl von Gründen verfassungswidrig –
eine Auffassung, die inzwischen durch
eine zunehmende Zahl an Rechtsgutach­
ten und Fachaufsätzen gestützt wird.
Bereits die Schwelle von 3.000 Woh­
nungen ist willkürlich gewählt und dürfte
daher einen Verstoß gegen das Gleich­
heitsgebot nachArt. 3GGdarstellen. Auch
ist zweifelhaft, ob die Verstaatlichung von
rund 250.000Wohnungen überhaupt eine
hinreichende Entspannung auf demBerli­
nerWohnungsmarkt bewirken würde, die
das serielle Bauen erleichtern, Bauland­
reserven mobilisieren, selbst mehr Sozi­
alwohnungen bauen oder die Wohngeld­
förderungen ausbauen. Diese Instrumente
muss das Land Berlin nutzen, bevor eine
Verstaatlichung rechtlich überhaupt nur
in Betracht gezogen werden kann.
Dass indes nicht jedes der in der ge­
genwärtigen Diskussion propagierten
alternativen Instrumente zur Lösung des
Problems geeignet ist, zeigt ein Blick auf
den „Berliner Mietendeckel“. Mit diesem
derzeit viel diskutierten Instrument sol­
len für einen Zeitraum von fünf Jahren
für sämtliche bezugsfertige Wohnungen,
mit Ausnahme vonNeubauten, dieMieten
eingefroren werden. Auch hiergegen be­
stehen gravierende verfassungsrechtliche
Bedenken. Denn beurteilt auf Basis der
bisher bekannten Regelungsvorschläge
fehlt dem Land Berlin, genauso wie al­
len anderen Bundesländern, die Gesetz­
gebungskompetenz – jedenfalls im
als verfassungsrechtliche Voraussetzung
erfüllt sein müsste. Davon unabhängig
würde das Vorhaben jedenfalls die Schul­
denbremse des Grundgesetzes verletzen,
da die betroffenen Wohnungsunterneh­
men in Milliardenhöhe entschädigt wer­
den müssten. Entscheidend aber dürfte
sein, dass das beabsichtigte Gesetz gegen
das verfassungsrechtliche Übermaßverbot
verstoßen würde, weil es zur Schaffung
bezahlbaren Wohnraums weder geeignet
noch erforderlich ist. Es ist ungeeignet,
Wohnraum für Haushalte mit geringem
Einkommen zu schaffen, weil durch die
Verstaatlichung keine einzige neue Woh­
nung gebaut wird. Vor allem ist die Ver­
staatlichung aber nicht erforderlich, da
eine Vielzahl weniger stark ins Eigentum
eingreifender Instrumente zur Verfü­
gung steht, mit denen der Wohnungs­
markt nachhaltig entlastet werden kann.
So könnte das Land Berlin etwa die Bau­
genehmigungsverfahren vereinfachen,
Foto: picture alliance/dpa-Zentralbild
Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ strebt die Verstaatlichung
von privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen an.
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