Immobilienwirtschaft 6/2019 - page 12

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
EINZELHANDEL
Ein Mietendeckel auch fürs Gewerbe?
D
ass Schaufenster an Ku‘damm, Kö­
nigsallee oder Kaufingerstraße nicht
zum Schnäppchenpreis zu haben
sind, ist kein Geheimnis: Mehr Premium
geht nun einmal nicht. Nun allerdings
scheinen auch die Einzelhandelsmieten
in Seitenstraßen und nachgelagerten Zen­
tren in astronomische Höhen geklettert zu
sein, wie Zahlen des Immobilienverbands
Deutschland (IVD) vermuten lassen. Um
267 Prozent stiegen dieMieten für Laden­
flächen um die 150 Quadratmeter in sol­
chen 1B-Lagen in Berlin zwischen 2009
und 2018, um 127 Prozent in Erfurt, um
100 Prozent in Dresden. Bei kleinen La­
denflächen (etwa 60 Quadratmeter) zähl­
ten ebenfalls Berlin (plus 200 Prozent),
Erfurt (212,5 Prozent) und Bonn (plus
192 Prozent) zu den Städten mit dem
kräftigsten Plus.
Diese Zahlen zur Entwicklung der
Einzelhandelsmieten in den 40 größten
deutschen Städten gehen aus einer Ant­
wort der Bundesregierung auf eine Klei­
ne Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vom Januar dieses Jahres hervor.
Damit wirkt vielerorts offenbar das
Schlupfloch gerade für inhabergeführte
Einzelhändler gestopft, im Schatten
der Boulevards bei erträglichen Mieten
noch möglichst viel Laufkundschaft ab­
zugreifen. Dazu passt außerdem eine
Diskussion über eine Art Preisbremse
für Gewerbemieten, die das Land Ber­
lin im Herbst losgetreten hat, und zwar
mit einem in den Bundesrat eingebrach­
gut wie keine Preissteigerungen mehr
gegeben, sagt HDE-Geschäftsführer und
Leiter Standortpolitik Michael Reink.
Bundesweit betrachtet kämpft der inner­
städtische Einzelhandel nach den Worten
beider Experten vielmehr häufig gegen
den Onlinehandel oder Einkaufszentren
vor den Toren der Stadt, sodass perspek­
tivisch eher sinkende Mieten zu erwarten
seien und Strategien gegen drohenden
Leerstand entwickelt werden müssten.
ImBereich Textil, einer Signalbranche für
Shopping, hat sich der Umsatz beispiels­
weise um 25 Prozent verschoben.
Verstärkt werde das Problem durch
die Entwicklung, dass selbst großflächig
orientierte Sparten wie Möbelhäuser an
Fläche sparen, sagt Reink. „Der Vermie­
termarkt reagiert schon jetzt auf weniger
Flächennachfrage.“ Ihm zufolge gilt bei
vielen Gewerbemietverträgen das Gegen­
teil von der Situation im Wohnbereich:
Die alten Verträge sind das Problem –
weil sie einen Mietpreis ansetzen, der
aktuell nicht mehr erzielt werden könne.
„Eine Preisbremse für Gewerbe ist schlicht
überflüssig.“
Prof. Dr. Steffen Sebastian, Inhaber des
Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung an
der IREBS International Real Estate Busi­
ness School in Regensburg, stimmt der
Einschätzung zu dem politischen Vorstoß
zu und hält ihn für absurd. „Die Mietent­
wicklung ist noch das kleinste Problem
für Gewerbe.“ Auch Sebastian verweist
auf eine äußerst heterogene Situation:
Während in den 1A-Lagen der Top-Städte
Verdrängungswettbewerb herrsche, gehe
es anderswo um den Erhalt eines inner­
städtischen Handels an sich. „Eine Preis­
bremse für Gewerbemieten würde wenig
bringen“, sagt der Wissenschaftler. Schon
im Bereich Wohnen sei es schwer, unter­
schiedliche Qualitäten zu messen. Auch
mit Blick auf die seiner Ansicht nach
schlechten Rechtsaussichten – Regulie­
rung brauche einen triftigen Grund – be­
ten Entschließungsantrag. Immer mehr
Einzelhandels- und Handwerksbetriebe
könnten sich die steigenden Mieten in
den Stadtzentren nicht mehr leisten, be­
gründen die Initiatoren ihren Vorstoß.
Es zeichne sich ein Strukturwandel ab,
der auch von einer Verdrängung kleiner
inhabergeführter Gewerbebetriebe und
sozialer Einrichtungen geprägt ist. „Es ist
festzustellen, dass es kleinen und mittle­
ren Unternehmen seltener gelingt, einen
Mietvertrag über einen längeren Zeitraum
abzuschließen.“
Daher fordern die Politiker einen
gesetzlichen Anspruch für Gewerbemie­
ter, Mietverträge zu bislang geltenden
Konditionen zu verlängern. Ausnahmen
sollen möglich sein, etwa wenn es um ein
anlassbezogenes Mietverhältnis wie eine
Messe geht.
Politiker fordern, dass
Gewerbemieter ihre
laufenden Verträge zu
geltenden Konditionen
verlängern können
Über den Antrag hat der Bundesrat
nicht abschließend abgestimmt. Daher
nimmt die Bundesregierung bislang kei­
ne Stellung dazu. In Immobilienwirt­
schaft und -wissenschaft jedoch löst die
Idee einer Gewerbe-Mietpreisbremse
mindestens Kopfschütteln aus. Zunächst
weist der IVD darauf hin, dass die in der
Bundestagsdrucksache zitierten Zahlen
mit Vorsicht zu genießen seien. Es gebe
zwar Standorte, an denen dieMieten stark
zugelegt hätten, erklärt der zuständige
IVD-Experte für Gewerbe, Axel Quester.
Allerdings seien dies eher Ausnahmen.
Der Handelsverband Deutschland
(HDE) ergänzt, dass der erfasste Zeit­
raum den Eindruck verzerre. In den ver­
gangenen zwei bis drei Jahren habe es so
Foto: Meinzahn/Gettyimages
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ZUM THEMA
btd/19/074/1907410.pdf
Hier ist die Tabelle mit den Entwicklungen
der Einzelhandelsmieten in den 40 größten
deutschen Städten abrufbar.
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