Immobilienwirtschaft 2/2019 - page 32

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FINANZIERUNG, INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
KOLUMNE
ist eine möglichst realistische, auf Fakten basierende Perspektive.
Aufklärung ist ein gutes Mittel gegen eine Sensationsfreude, die
durch dramatisierende Medien mit spektakulärer Berichterstat-
tung täglich befeuert wird. Gib mir noch einen Artikel über den
durchgeknallten Präsidenten, über die in der Nordsee versinken-
den Briten und den chinesischen Überwachungsstaat! Das ist so
schön schauerlich!
Aber ist die Welt tatsächlich so schlecht, wie sie wahrgenom-
men wird? Ich bin in den 60er und 70er Jahren in Norddeutsch-
land aufgewachsen, am Rande der Lüneburger Heide. Meine
Freunde und ich haben in den Tümpeln und Kanälen Stichlinge
gefangen, in den Wäldern Vögel bestimmt und auf Hartplatz
Fußball gespielt.
Zu idyllisch sollte man sich das Leben auf dem Land in den
70ern aber nicht vorstellen. Wilde Müllkippen im Wald waren
keine Ausnahme. Wildschweine oder gar Füchse habe ich inmei-
ner Jugend nicht zu sehen bekommen. Als Kind zugewanderter
Flüchtlinge aus dem Osten blieben mir die erdigen, wortkargen
Bauern der Umgebung fremd. An den Gestank aus dem Schorn-
stein der Lederfabrik kann ich mich noch genauso erinnern, wie
an den der FAUN-Werke in Osterholz-Scharmbeck, der den
Besuchen bei meiner Großmutter einen eigenen olfaktorischen
Charakter verlieh. Die Abwässer landeten in derWümme oder in
der Hamme. In der Oberstufe sah ich während einer Exkursion
Berlin, auch den Ostteil der Stadt. Der Feinstaub der Braunkohle
durchdrang jedes Treppenhaus, der Putz fiel plackenweise von
den Fassaden. Der unbebaute Potsdamer Platz, tumbe Neubauten
M
ein Blick wandert über die abendliche Berliner Skyline.
Soweit das Auge reicht, die Lichter einer dichten, aufstre-
benden Großstadt. Bei Freunden diskutieren wir in ihrer
Wohnung mit großer Dachterrasse und leckerem Rotwein die
Dramen dieser Welt. Die Unfähigkeit der heutigen Studenten,
dazu noch der Lügner im Weißen Haus, die schmelzenden Pol-
kappen, die lebensmüden Briten, Titanic Europa: Überall sehen
sie schauerlichen Abstieg, hoffnungsloses Elend und unumkehr-
baren Untergang. Meine Argumente können ihre Verzweiflung
nicht vertreiben. Die Wucht ihrer Hoffnungslosigkeit hat mich
überrascht und ratlos nach Hause gehen lassen.
Während der Zugfahrt nach Hamburg argumentiere ich am
nächsten Vormittag gleich weiter gegen einen ähnlich wütenden
Pessimismus. Zu viele Flüchtlinge, manipulierende Presse, stei-
gende Kriminalität. Auch hier sitzen die Alleswirdschlimmer­
undschlimmer-Überzeugungen fest. Die Welt ist schlecht und
wird immer noch schlechter: Epidemien, Armut, Terror, Krieg,
Unterdrückung, Naturkatastrophen so weit das Auge reicht.
Dramen über Dramen. Nur Unwissende und Kinder können das
ignorieren. Wer den Untergang der Erde leugnet, hat die Nach-
richten nicht gesehen oder, noch schlimmer, ist nicht kritisch
genug. Kritikfähigkeit haben wir ja schon in der Schule gelernt.
Aber woher kommt die Dunkelheit in einer Welt beispielloser
Möglichkeiten und technologischen Fortschritts?
Auch ich treffe auf Menschen oder Dinge, die mich verzwei-
feln lassen: Klimawandel, achtlose Städte, ungerechte Wohl-
standsverteilung, Populismus, Nationalismus. Umso wichtiger
Was wirklich ist
Foto: Dirk Weiß
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