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6.2018
ker die urban gemischte Stadt mit kurzenWegen, Arbeitsplätzen
vor Ort und sozialer Mischung. Als übergeordnetes politisches
Ziel sollten möglichst viele teilhaben an der im besten Sinne in-
klusiven, informativen Stadt. Doch die konkrete Umsetzung vor
Ort scheitert allzu häufig an populistischem Pragmatismus und
Klientelpolitik.
Die intensivere Nutzung von bereits erschlossenen Grund-
stücken mit ihrer vorhandenen Infrastruktur in Verbindung mit
voluminöseren Baukörpern könnte einen bedeutenden Beitrag
zur Kostensenkung im Wohnungsbau liefern. Aber die Ämter
mit ihren geltenden Baugesetzen stemmen sich wie Rugbyspieler
gegen jeden zusätzlichen Meter. Kompakte Städte haben einen
kleineren ökologischen Fußabdruck und verbrauchen infolge-
dessen weniger Ressourcen, weniger Energie und weniger Land.
ImVergleich zuHongkong, einer der amhöchsten verdichte-
tenGroßstädte derWelt, ist der Energieverbrauch im lockerer be-
bauten Berlin dreimal so hoch, in denweiter ausufernden Städten
wie Zürich sechsmal, im Siedlungsbrei von Melbourne zwölfmal
und im durchgrünten Los Angeles 18-mal so hoch. Das kann
durch keine noch so ambitionierte Energieeinsparverordnung
aufgeholt werden.
Jane Jacobs forderte bereits 1961 in ihrer vehementen Streit-
schrift gegen den modernen Städtebau eine hohe Einwohner-
dichte als wichtigen Faktor für eine bessere Stadt. Auch die so-
zialtheoretischen Klassiker wie Durkheim oder die Arbeiten der
Chicago School of Sociology fordern mehr Dichte.
Dichtere Städte erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Men-
schen, die etwas miteinander anfangen können, auch zusam-
menkommen. Dichte fördert die menschliche Interaktion und
damit wirtschaftliche Innovation. So ist die Wahrscheinlichkeit,
ein höheres wirtschaftliches Niveau, engere soziale Bindungen
oder ein stärkeres subjektives Wohlbefinden zu erreichen, in der
City größer als in der Einfamilienhaussiedlung im Außenbezirk.
Es geht darum, Menschen dichter zusammenzubringen, da-
mit Begegnungen sich häufen und Nachbarschaften entstehen.
Belebte Cafés, Läden, Museen und Bürgersteige sind Orte der
Begegnung. Menschen ziehen Menschen an.
Höher, dichter, enger sind die Ziele. Aber wie geht das rich-
tig? In Europa besitzt Paris mit 21.500 Einwohnern/km², über
die gesamte Stadtfläche gerechnet, eine hohe Bevölkerungsdichte.
Dagegen ist München, als die dichteste Stadt in Deutschland, mit
4.700 Einwohnern/km² geradezu locker besiedelt. Paris als Ganzes
ist gut viermal so dicht bevölkert wie München, fünfmal so dicht
wie Berlin und siebenmal so dicht wie Stuttgart. Die dichtesten
Quartiere hierzulande, wie Berlin-Friedenau, Schwabing-West in
München, die Friedrichstadt in Düsseldorf oder Hamburg-Eims-
büttel kommen noch nicht einmal auf 20.000 Einwohner/km². Mit
30.000 bis 40.000 Einwohnern/ km² weisen in Paris gleichmehrere
Arrondissements eine doppelt so hohe Bevölkerungsdichte auf.
Man muss also gar nicht erst auf die noch viel dichteren asia-
tischenMegastädte schauen, um festzustellen, dass in denmeisten
europäischenQuartieren noch lange nicht auskömmlicheDichten
erreicht sind. Aber was ist die richtige Dosierung von Erregung
und Ruhe, um in einer Umgebung mit unnatürlich schnellem
Lebenstempo das globale Glücksgefühl zu erhöhen?
Nur die Gründerzeitquartiere kopieren reicht nicht. Städ-
tische Verdichtung muss ein Gesamtkonzept sein und kann sich
nicht einfach nur mit der Vermehrung der Geschossflächen auf
gleicher Grundfläche zufriedengeben. Damit kann eine umfas-
sende Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Das
betrifft vor allem die Aufenthalts- und Freiraumqualitäten und
bedarf dabei einer entschiedenen Umwidmung der Flächen: Au-
tostraßen reduzieren, Rad- und Fußgängerwege ausbauen, Erdge-
schosse öffnen, Dachgärten anlegen und die Parks an veränderte
Spiel- und Freizeitaktivitäten anpassen. Straßen und Plätze müs-
sen in dichten Städten deutlichmehr bieten als Raum für hupende
Autokorsos, Schnäppchenjäger und Latte-macchiato-Trinker. Sie
müssen zu vielfältigenOrten für Bewegung, Begegnung, Angebot
und Inspiration werden.
Wachstum und Verdichtung werden in den großen Städten
stattfinden. Das kann eher zufällig als zusätzliche Belastung für
die Bürger geschehen. Oder aber bewusst als ganzheitliche Ver-
besserung der Lebensbedingungen gewollt und geplant werden.
Warum geschieht das nicht?
Verdichtung wird in den großen Städten stattfinden. Das kann
auch bewusst als ganzheitliche Verbesserung der Lebensbedingungen
gewollt und geplant werden. Warum geschieht das nicht?
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.