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          FINANZIERUNG, INVESTMENT & ENTWICKLUNG
        
        
          I
        
        
          
            KOLUMNE
          
        
        
          Gewinn erhöhen, Architekten die Bauqualität verbessern und
        
        
          Kommunen das Wohnungsangebot erweitern.
        
        
          In Deutschland wird seit Jahren zu niedrig, zu schmal, zu
        
        
          locker und insgesamt zu luftig gebaut. Das liegt imWesentlichen
        
        
          an einem der einflussreichsten und zugleich irrsinnigsten Mani-
        
        
          feste des 20. Jahrhunderts: der Charta von Athen. Diese Bibel des
        
        
          modernen Städtebaus lag in den letzten 80 Jahren unter denKopf-
        
        
          kissen von Generationen von Stadtplanern und bestimmt heute
        
        
          noch das Aussehen der meisten Städte. Die autogerechte Satelli-
        
        
          tenstadt imGrünen und Ruhe, Ruhe, Ruhe sind dieMaximen, die
        
        
          alle anderen Bedürfnisse wie die nach urbaner Lebendigkeit oder
        
        
          Nachhaltigkeit beiseiteschieben. Die Charta vonAthen ist verant-
        
        
          wortlich für Landfraß, Vereinsamung, Lebenszeitverschwendung
        
        
          in endlosenVerkehrsstaus und gähnend langweilige Stadtteilemit
        
        
          unglücklichen Bewohnern.
        
        
          Auch wenn bereits seit den 1970er Jahren die inhumane sche-
        
        
          matische Rasterarchitektur durch Vertreter eines kontextuellen
        
        
          Bauens kritisiert wurde, ist die Festsetzung einer möglichst nied-
        
        
          rigen Dichte-Obergrenze bis heute wesentlicher Bestandteil fast
        
        
          aller Bebauungspläne. Zusammen mit der erzwungenen Tren-
        
        
          nung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit nährt die Charta von
        
        
          Athen noch immer die Zombies des heutigen Städtebaus. Was
        
        
          für ein Jammer.
        
        
          Heute sprechen politische, ökonomische, ökologische und
        
        
          soziale Aspekte für eine deutlich kompaktere Bauweise. Mit der
        
        
          2007 angenommenen Leipzig-Charta fordern deshalb auch Politi-
        
        
          
            D
          
        
        
          er Saal ist proppenvoll. Die Stimmung eine Mischung aus
        
        
          Klassenfahrt und Straßenkampf. Die Mieter des Beamten-
        
        
          Wohnungs-Vereins zu Berlin eGdrängen sich imVersamm-
        
        
          lungssaal amTheodor-Loos-Weg umdasModell des 20-geschos-
        
        
          sigen Hochhauses. Das soll auf dem Grundstück ihrer bestehen-
        
        
          den Parkgarage gebaut werden. Die belegten Brötchen sind lecker,
        
        
          aber keiner der betroffenen Genossen kann dem preisgekrönten
        
        
          zukünftigen Nachbarn etwas abgewinnen. Viele sind nach der
        
        
          Fertigstellung der Gropiusstadt vor 50 Jahren hier eingezogen
        
        
          und zusammen in Ruhe alt geworden. Die Häuser stehen weit
        
        
          auseinander, mit viel Platz für gemähte Rasenflächen drumhe-
        
        
          rum und einem verlassenen Spielplatz, dessen Nutzer bereits
        
        
          seit Langem aus ihren kurzen Hosen herausgewachsen sind. Die
        
        
          Anwesenden glauben nicht, dass es vor ihrer Haustür unbedingt
        
        
          dichter zugehenmuss. Und das angekündigte Café, die Poststelle,
        
        
          der Veranstaltungsraum, die Gartenküche und der neue Park für
        
        
          Jung und Alt sind noch in weiter Ferne.
        
        
          Die hier wohnen, sind gegen zusätzliche Nachbarn, Autos,
        
        
          Lärmund Baustellen. Sie haben sich eingerichtet und wollen ihre
        
        
          Ruhe. Genau wie sie es kennen. Wie hier in der Gropiusstadt läuft
        
        
          es an vielen Stellen in der Republik.
        
        
          Nachverdichtung ist das Thema der Stunde. Klingt wie eine
        
        
          Mischung aus Packesel, Containerschiff und Mietskaserne und
        
        
          lässt die Fronten aufeinanderprallen: Besitzer wollen ihre Grund-
        
        
          stückswerte steigern, Genossenschaften zusätzliche Wohnungen
        
        
          für ihreMitglieder bauen, Projektentwickler und Investoren ihren
        
        
          Dichte
        
        
          Foto: Dirk Weiß