Immobilienwirtschaft 6/2018 - page 22

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
DIGITALISIERUNG
Der Mensch als „fleischgewordene“
Innovationsbarriere
E
s sind bereits erste Trends zu erkennen,
die kurzfristig allein in den Facility
Services als Treiber einer Digitalisie-
rung wirken werden: Mittels „Big Data“
wird „Predictive Maintenance“ möglich.
Damit könnten zum Beispiel verlässliche
Voraussagen zu Ausfällen von Aufzügen
und Rolltreppen gemacht werden. Nicht
nur virtuelle Wohnungsbesichtigungen,
sondern auch Instandhaltungsprozesse
können bereits heute mittels VR-Brillen
unterstützt werden. Durch neue Mög-
lichkeiten einer miniaturisierten Sensorik
wird darüber hinaus die Performance von
Gebäuden besser verstanden, und es wer-
den detailliertere Real-Time-Gebäude­
nutzungsanalysen möglich. Mit Spezial-
kameras ausgestattete Drohnen könnten
routinemäßig als Hilfsmittel bei Inspekti-
onen auf Dächern eingesetzt werden und
mobiler 3D-Druck ressourcenschonend
Ersatzteile in Wartungsprozessen bereit-
stellen. Aber das ist erst der Anfang.
Nicht wenige Entscheider der Immo-
bilienwirtschaft vermuten in der Digita-
lisierung jedoch noch immer eine unbe-
deutende Start-up-Szene, die sie kaum
tangieren wird. Die Analysen – auch die
der größten Berufsoptimisten der ein-
schlägigen Verbände – unterstreichen
jedoch allesamt, dass Deutschland mit
der Digitalisierung der Wertschöpfungs-
auch gleichzeitig die größte, hier „fleisch-
gewordene“ Innovationsbarriere. Man-
che der großen Beratungshäuser glauben
zwar zu wissen, dass durch Industrie 4.0
insgesamt mehr Jobs entstehen werden
als verloren gehen. Es könnte jedoch
sein, dass es vor allem eine auch für die
Immobilienwirtschaft sehr schmerzhafte
Umschichtung von Arbeitsinhalten geben
wird, da nun völlig neue Kompetenzen
gefragt sind. Dramatische Umwälzungen
hat auch Richard David Precht in seiner
Keynote auf dem FM-Nutzerkongress in
Düsseldorf skizziert: Statt altbewährte
Technologien und Services rund um die
Immobilie „nur“ zu verbessern, werden
diese samt der hierfür benötigten Kom-
petenzen schlichtweg ersetzt.
In einer ersten Welle werden eine
Vielzahl von Kompetenzträgern in ad-
ministrativen und juristischen Routine-
bereichen beispielsweise in Beschaffung,
Miet- und Vertragsmanagement, (Ob-
jekt-)Buchhaltung, Berichtswesen, Ne-
benkostenabrechnung oder Büro- und
Schreibdienst betroffen sein und in einer
zweiten Welle dann Help-Desk-Dienste
und bislang personalintensive infrastruk-
turelle Leistungen wie Reinigungs- und
Sicherheitsdienste.
Doch imGegensatz zu früheren Tech-
nologiesprüngen, bei denen die Kompe-
tenzen im Umgang mit neuen Technolo-
gien durch entsprechende Kompetenz-
entwicklungsmaßnahmen auf ein neues
Niveau gebracht werden konnten, werden
durch die anstehenden Entwicklungen
sowohl gering- als auch hochqualifizierte
Fachkräfte in der Immobilienwirtschaft
schlicht nicht mehr benötigt werden.
Wie die Kompetenzbedarfe und Archi-
tekturen einer digitalisierten Wirtschaft
genau aussehen werden, zeichnet sich
insgesamt erst sehr schemenhaft ab. Aber
gibt es einen vernünftigen Grund dafür,
anzunehmen, dass ausgerechnet die Im-
mobilienwirtschaft davon ausgenommen
ketten nicht schnell genug vorankommt.
Aus der Sicht der Innovationsforschung
sind es insbesondere zwei Barrieren, die
eine Entwicklung behindern: die fehlende
Bereitschaft, eine wirklich radikale Trans-
formation anzustoßen, und fehlende digi-
tale Kompetenzen.
Der Mensch muss mit in
den Prozess einbezogen
werden. Auch digitale
Innovationen werden
von Menschen gemacht!
Wenn Einzelne sich – wie tatsächlich
imRahmen einer Fachtagung zur Digitali-
sierung der Immobilienwirtschaft gesche-
hen – in der Diskussion damit beruhigen,
sie hätten doch bereits eine erste Stufe der
Digitalisierung erfolgreich gemeistert,
wenn die Mitarbeiterin ihrem Chef die
E-Mails nicht mehr ausgedruckt vorlegt,
zeigt das ein Dilemma dieses tradierten
Bereichs. Auch hier ist es der Mensch,
der eher lieb gewordene Privilegien, Be-
sitzstände, Budgets und sein veraltetes
Kompetenzniveau zu schützen versucht,
als Neues voranzutreiben. Unzweifelhaft
wird die Digitalisierung auch die Ar-
beitswelt rund um die Immobilie erheb-
lich verändern. Und es bleibt uns nichts
anderes übrig, als den Mensch mit in die
Überlegungen einzubeziehen. Auch digi-
tale Innovationen werden von Menschen
gemacht!
Nicht Algorithmen oder künstliche
Intelligenz entwickeln geänderte Problem-
lösungen oder neue Geschäftsmodelle, es
sind auch in einer digitalisierten Welt im-
mer nur Menschen die Enabler für Neues.
Dabei ist es ganz menschlich, wenn einige
den Vormarsch der Algorithmen auch als
Bedrohung wahrnehmen. Die Menschen
sind nämlich nicht nur Enabler, sondern
Prof. Dr. Markus
Thomzik,
Westfälische Hoch-
schule Gelsenkir-
chen und IAI an
der Ruhr-Universi-
tät Bochum
AUTOR
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