Es war ein Fehler, dass sich der Bund vor
Jahren aus der Wohnungsbauförderung
verabschiedet hat. Und es ist eine Kunst,
geförderten Wohnungsbau zu planen und
zu realisieren. Es gibt – deutschlandweit –
viele Beispiele für eine gute Umsetzung.
Ein Gespräch mit Sophie Wolfrum.
Frau Wolfrum, wie bewerten Sie die
Ankündigung der Bundesregierung,
wieder in den geförderten Wohnungs-
bau einzusteigen?
Das ist eine notwendige
politische Entscheidung für den sozialen Frieden
in den Städten. Diese Aufgabe kann von den
Kommunen alleine nicht gestemmt werden. Der
Ausstieg des Bundes seinerzeit war ein Fehler.
Welche Lehren sind aus den Sozialwoh-
nungs-Siedlungen der 1960er und 1970er
Jahre zu ziehen?
Geförderte Wohnungen
sollten nicht so aussehen, als ob sie für arme
Leute nur minderwertigen Standard bieten.
Es bleibt eine Aufgabe der Architektur, gute
preiswerte Wohnungen zu entwerfen. Es bleibt
eine Aufgabe der Politik, deren Bau möglich zu
machen. Zudem haben sich Häufungen nicht
bewährt, da sie zur Stigmatisierung von Sied-
lungen führen. Erfolgreicher ist etwa die Politik
der Stadt München, geförderte Wohnungen
überall unterzumischen. Nicht alle diese Sied-
lungen sind im Übrigen in schlechtem Zustand.
Aber alle brauchen Pflege. Sie brauchen die
vergleichbare planerische und finanzielle
Zuwendung, die die Gründerzeitviertel in den
1970er und 1980er Jahren im Zuge der Stadtsa-
nierung bekommen haben. Auch diese waren
vorher heruntergewirtschaftet.
Wo sollen Sozialwohnungen in einer Stadt
entstehen, um positiv auf die Entwicklung
der Gesamtstadt zu wirken?
Eine möglichst
gestreute Verteilung über alle Stadtviertel und
Bauquartiere ist das Beste, weil nur so keine
Ghettos entstehen. In geförderten Wohnungen
wohnen nicht nur problematische Sozialfälle,
sondern auch die Krankenschwestern und
alleinerziehenden Mütter, die Bauarbeiter
und Straßenkehrer, die jede Stadt braucht.
Wir sollten statt von Sozialwohnungen besser
von gefördertem Wohnungsbau sprechen, der
angesichts der Preisentwicklung in Städten wie
München oder Berlin für ganz normale Bürger
notwendig ist.
Mit Blick auf die Mikrolage: Wo in einem
Viertel entstehen Sozialwohnungen am
besten?
Häuser mit geförderten Wohnungen
sollten möglichst feinkörnig eingewoben wer-
den. Jede Stadt, jedes Stadtviertel profitiert von
Vielfalt und Durchmischung. Dass dies große
stadtplanerische Anstrengungen erfordert, ist
offensichtlich. Die Entwicklung der Bauland-
preise in hochpreisigen Quartieren macht dies
unmöglich, da dort gemeinnützige Bauträger
nicht mithalten können.
Wer sollte darüber entscheiden, wo etwas
gebaut wird?
Diese Entscheidungen obliegen
in unserer Verfassung dem Stadtparlament
(Stadtrat bzw. Gemeinderat). Planungsrecht
wird durch Satzung geschaffen. Diese politische
Entscheidungsebene muss das Wohl der ganzen
Stadt im Auge haben, die soziale Infrastruktur
gewährleisten und vor allem den sozialen
Frieden anstreben. Folglich kann nicht über die
Köpfe der Menschen hinweg entschieden wer-
den, und jede Planung ist mit großer kommuni-
kativer Anstrengung verbunden. Warum sollten
Bürger etwas gegen geförderte Wohnungen
in der Nachbarschaft haben, wenn sie gut
gemacht sind?
Was passiert, wenn die Politik nichts
macht?
Schauen Sie sich in der Welt um: Die
Wohlhabenden ziehen sich in private Enklaven
zurück, die aus der Stadtlandschaft heraus-
geschnitten werden, wie etwa Gated Com-
munities. Nur zu oft beschränkt sich auch die
geplante Stadt, die mit öffentlicher Infrastruktur
versorgt wird, auf diese Teile der Städte. Die
Armen dagegen leben in der so genannten
Selfmade City: Favela oder Squatter. Unsere
deutschen Städte sind unter anderem deshalb
sozial befriedet und ermöglichen öffentliches
Leben in öffentlichen Räumen, weil sie mehrere
Jahrzehnte Wohnungsbau der Moderne hinter
sich haben.
Dieser Wohnungsbau wurde oft gescholten
…
Ja, die „Unwirtlichkeit der Städte“ wurde
zum geflügelten Wort. Aber in der historischen
Folge ist Obdachlosigkeit in Deutschland
zum Randphänomen geworden. Sie ist nicht
verschwunden, aber sie formt unsere Städte
nicht als Ganzes. Wir gehen hierzulande davon
aus, dass jeder eine Wohnung haben sollte. Das
ist eine grundlegende Leistung einer wohlha-
benden Gesellschaft trotz aller sonstigen sozia-
len Unterschiede. Diese Errungenschaft können
wir nicht aufgeben.
„Möglichst feinkörnig eingewoben …“
Sophie Wolfrum ist
Professorin für Städtebau
und Regionalplanung und
lehrte bis zum Eintritt in den
Ruhestand im April 2018 an
der TU München.
„Die Entwicklung der
Baulandpreise in hoch
preisigen Quartieren
macht Durchmischung
unmöglich, da dort ge
meinnützige Bauträger
nicht mithalten können.“
INTERVIEW
MIT SOPHIE WOLFRUM
12
POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
TITELTHEMA
Foto: privat