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9.2017
ausgewogenen Mittelpositionen. Die Genehmigungsverfahren
sind kompliziert und anspruchsvoll. Tausende von Standards und
Normen regeln fast alles, innovative Lösungen tun sich damit
schwer. Machen wir uns also handlungsunfähig durch zu viele
Rechtsvorschriften, lückenloses Streben nach Gerechtigkeit, Si-
cherheit und Dauerhaftigkeit? Werden wir durch immer höhere
Ansprüche an das, was wir tun, und das Streben nach Perfektion
immer langsamer? Werden wir dadurch abgehängt?
WARUM IST DAS IN CHINA SO ANDERS?
Nach Maos Tod 1976 war
China ein hungerndes, bitterarmes Agrarland. Eine Gruppe um
Deng Xiaoping brachte dann das Land auf den Weg zur „so-
zialistischen Marktwirtschaft“. Sonderwirtschaftszonen wurden
eingerichtet und die Bauern durften auf eigene Rechnung wirt-
schaften. Chinas Wirtschaft gehört seitdem zu den am schnells-
ten wachsenden der Welt. Das Land hat bis heute und auf Jahre
hinaus einen riesigen Nachholbedarf. Heute herrscht dort eine
Stimmung wie in den USA zur Zeit des Wilden Westens. Alles
wird gebraucht, muss aufgebaut und ausgebaut werden. Mit allem
kannGeld verdient werden. Auch inDeutschland kennenwir das
aus den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit. So lange
ist das noch nicht her.
ABER: WAS IST ANDERS?
Hosea Duan ist ein 36-jähriger Projekt-
entwickler, der in Shenzhen vor seinem gerade fertiggestellten
Hochhauskomplex steht. Mit stolz verschränkten Armen fragt
er mich, was er besser machen kann. Vor so viel naivem Selbst-
bewusstsein fällt mir die enttäuschende Antwort schwer. Er hat
genau die gleichen Fehler gemacht wie die deutschenWohnungs-
baugesellschaften in den Aufbaujahren. Ganze Stadtteile sind da
zusammengeschustert worden, die nicht wirklich für die Men-
schen gemacht sind, die dort gemeinsammit Nachbarn ihr Leben
teilen wollen. Fehler, die wir heute gerade aufwändig zu beheben
versuchen.
Rückständigkeit und Ideenlosigkeit sind zwar die sichtbaren
Ergebnisse seiner Arbeit, aber nicht das eigentliche Problem. Et-
was ist in China grundsätzlich anders: China ist kein Rechtsstaat.
Das Land leidet unter einer korrupten Einparteiendiktatur. Hosea
Duan musste auf dem Weg zu seinem schnellen Reichtum die
örtlichen Parteikader bestechen, damit er das Grundstück bekam,
Mitarbeiter in den Behörden bestechen, umdie Baugenehmigung
zu erhalten. Da bleibt keine Zeit für einen Wettbewerb als Qua-
lifizierung für sein Projekt. Er musste Beamte bestechen, um die
dort in historischen Häusern lebenden Anwohner zu enteignen
und zu vertreiben. Die konnten sich gegen die korrupten Par-
teifunktionäre nicht wehren. In den Redaktionen der Zeitungen
sitzen Zensoren, das Internet ist kontrolliert. Ich frage mich, was
eigentlich Hosea Duan passiert, wenn er aus dem Korruptions-
kreislauf aussteigt oder ein Funktionär sein Unternehmen gleich
ganz übernehmenmöchte? Hosea Duan will jetzt auch in Kanada
investieren.
UND WAS BEDEUTET DAS FÜR DEUTSCHLAND?
Viele beschweren sich
heute in Deutschland über die langsamen Ämter und die langen
Entscheidungswege bis zum Baurecht. Zumeist sind hier die Be-
hörden personell unterbesetzt, unterbezahlt und technisch nicht
angemessen ausgestattet. Ein Skandal, wie achtlos hierzulande die
so wichtigen Institutionen behandelt werden. Und in den politi-
schen Ausschüssen und Parlamenten sitzen häufig Laien, die sich
imParteienstreit verfransen und nicht sachorientiert handeln. Da
besteht Reformbedarf. Thema: die bauende Demokratie.
Aber in einemRechtsstaat ist derWeg zu einer Bauvoranfrage,
einemBauantrag oder einemBebauungsplan genau vorgeschrie-
ben. Abweichungen davon beeinträchtigen die Rechte Dritter,
die ihr Recht einklagen können. Da ist viel Wissen und Sorgfalt
erforderlich.
Gute Architektur und nachhaltiger Städtebau sind in der Re-
gel das Ergebnis umfangreicher Diskussionen undAbstimmungs-
prozesse. Nicht die schnellen, einsamen Entscheidungen kleiner
Cliquen sind langfristig erfolgreich, sondern die Strukturen, die
faire, gleiche und offene Beteiligung regeln und zu nachhaltigen
Entscheidungen, guter Architektur und langfristig lebenswerten
Städten führen. Das sind die Errungenschaften, die für Gesell-
schaften so schwer zu erreichen sind und ein extrem hohes Gut
darstellen. Diktaturen können dagegen nicht dauerhaft kreativ
und nachhaltig sein.
„Machen wir uns handlungsunfähig durch Rechtsvorschriften,
lückenloses Streben nach Gerechtigkeit und Sicherheit? Werden wir
durch unsere Ansprüche immer langsamer? Werden wir abgehängt?“
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.