Immobilienwirtschaft 2/2017 - page 52

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TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE
I
TITELTHEMA
hen nicht beziehungslos nebeneinander,
teilweise verstärken sie sich wechselseitig
sogar. Genau in solchen Fokalpunkten
ist dann mit den heftigsten Disruptionen
(und Chancen) zu rechnen.
VERÄNDERUNG DER RAHMENBEDIN-
GUNGEN DES MARKTES
Insgesamt hat der
Wettbewerb in den letzten Jahren in vie-
len Segmenten der Immobilienwirtschaft
zugenommen. Die Branche ist professio-
neller geworden. So werden viele Unter-
nehmen in Nischen gedrängt, Margen
reduziert und der Wert von zusätzlichen
Informationen nimmt relativ zu. Daher
werden all jene Technologien wichtiger,
die Informationen auf kostengünstige
Art und Weise in Wissen übertragen
können. Die Digitalisierung eröffnet hier
gewaltige Potenziale, denn sie ermöglicht
es, dass sehr hohe Datenvolumen in sehr
kurzer Zeit ausgewertet werden können.
Die Immobilienbranche hat sich bereits
vor einigen Jahren auf eine Positivspira-
le der Transparenz begeben. Diese kann
sie nicht mehr verlassen. Im Zuge dieser
Transparenzverbesserung werden Trans-
aktionsprozesse schneller, die Zugangs-
barrieren zu Transaktionen gesenkt, der
Wettbewerb intensiver, auch einzelne
„Händlerstufen“ dürften dort, wo diese
nur Standardinformationen bereitstellen,
übersprungen werden können.
Die Digitalisierung eröffnet ein in
der Immobilienbranche bisher nicht ge-
kanntes Skalierungspotenzial, weil der
Zugang zu Informationen und Wissen
schwerer regional abgeschottet werden
kann. Weil die Daten- und Analysesy-
steme hohe Investitionskosten erfordern,
wird hiermit auch eine Konzentration in
vielen Segmenten der Immobilienbranche
einhergehen. Allerdings geht es bei dieser
Diskussion nicht nur um Blockchain, also
die dezentrale und transparente Protokol-
lierung einer Transaktion, oder künstliche
Intelligenz. Sehr häufig können Immobi-
lienunternehmen weit unterhalb dieser
Techniken ihre internen Prozesse durch
integrierte Datenbanken und Dokumen-
tensysteme effizienter gestalten.
NEUE DIENSTE UND NIEDRIGERE KOSTEN
Höhere Transparenz zwingt mehr Unter-
nehmen der Immobilien- und Baubran-
che, alle Kostenparameter auf den Prüf-
stand zu stellen. Ähnlich wie die Industrie
Just-in-time-Management in der Logistik
einführen musste, wird das Bauprojekt-
management alle Reibungsverluste und
Kapitalbindungen minimieren. Die Stan-
dardisierung und Automatisierung wird
noch tiefer bis in die Designleistungen
überall dort eindringen, wo keine Land-
mark-Architektur notwendig ist.
Vor allem werden aber jene Daten
wichtiger, die die konkreten Bedürfnisse
des Nutzers abbilden. Auch hier wird die
Immobilienwirtschaft von der Industrie
lernen: Die Prozesse werden also standar-
disiert, und gleichzeitig nimmt die Zahl
der Individualisierungsmöglichkeiten zu.
Nicht nur das Bauen, auch Immobilien-
dienstleistungenwie FacilityManagement
und Property Management lassen sich
stärker modularisieren und in Service-
Päckchen teilen. Damit dies ortsunabhän-
gig geschehen kann, ist Visualisierung von
Informationen (sowohl hinsichtlichDaten
als auch Objekten) wichtig.
EXTERNE EINFLÜSSE AUS ANDEREN BRAN-
CHEN
Viele der oben skizzierten Entwick-
lungen haben ihrenUrsprung in der Infor-
mations- und Kommunikationsbranche.
Über Bande kommen weitere Nachfra-
geverschiebungen hinzu: Das autonome
Fahrenwird die Immobilienwirtschaft viel
nachhaltiger verändern als die Elektrifizie-
rung des Fuhrparks. Autonomes Fahren
wird nicht nur gewaltige Platzreserven in
den Städten freisetzen, es wird auch dazu
führen, dass produktive und kreative Tä-
tigkeit aus dem Büro oder dem Heimar-
beitsplatz ins mobile Büro auf der Straße
verlegt werden kann. Bereits heute ist es
erschreckend, dass die meisten Pkw zu
über 95 Prozent Stehzeuge sind (bei einer
Annahme von 15.000 km Jahresleistung
und einer Durchschnittsgeschwindigkeit
von 60 km/h). Die Kapitalbindung und
der Platzverbrauch sind bereits heute
grotesk. Das autonome Fahren wird den
impliziten Optionswert des stehenden
Fahrzeugs erodieren und damit Platz be-
freien. Man stelle sich vor, von den aktu-
ell rund 45.000.000 Pkw in Deutschland
könnte die Zeit der Stehzeuge nur um fünf
Prozent reduziert werden. Dies könnte die
täglich beparkte Fläche um deutlich über
25 Millionen Quadratmeter befreien oder
wenigstens auf günstigere Parkflächen
verteilen (gerechnet auf der Basis von
Normparkflächen von fünf Metern Länge
und 2,5 Metern Breite).
Gleichzeitig könnte die Logistik
reibungsärmer ablaufen und der Versor-
gungshandel würde in günstigen Lagen
zur Logis
tikfläche reduziert. Die Immo-
bilienwirtschaft wird sich also mit den
Fragen der künftigen Flächennutzung,
der Ausgestaltung von Hub-Büros, die
entstehen, weil ein Teil der Arbeitslei-
stung bereits auf dem Weg zur Arbeit
erledigt sein wird, den Implikationen für
die Entwicklung der Städte und der de-
zentralen Standorte und der Gestaltung
gewonnener urbaner, öffentlicher Räume
beschäftigen. Es wäre vermessen zu glau-
ben, wir könnten bereits heute alle Effekte
haarklein deklinieren. Dafür kennen wir
den Fahrplan zum wirklich autonomen
Fahren noch nicht. Aber wenn wir es
jetzt nicht diskutieren, verbauen wir im
wahrsten Sinne des Wortes die Zukunft
unserer Städte.
GESUNDER MENSCHENVERSTAND BLEIBT
ESSENZIELL
Innovationen haben immer
eine Sonnen- und eine Schattenseite. Auf
der Sonnenseite stehen jene, die eine In-
novation zu ihremVorteil nutzen können.
Solche Modernitätsprämien realisieren
eher junge Menschen, die noch nicht ihr
gesamtes Erwerbsleben in Bestandstech-
nologien investiert haben. Die Schatten-
seite ist, dass Innovationen eben immer
Bestehendes (wenigstens ein Stück weit)
entwerten; das gilt auch für Fertigkeiten
von Unternehmen und Mitarbeitern. Sol-
che Strukturbrüche sind nicht einfach.
Das Ruhrgebiet hat seit über 50 Jahren
mit solch einer Strukturveränderung zu
kämpfen – und der Kampf ist noch nicht
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