Immobilienwirtschaft 2/2017 - page 29

29
0
2.2017
gigantischen Ausmaßes gelähmt und nicht in der Lage, supra-
nationale Institutionen so aufzustellen, dass sie effiziente Regeln
implementieren könnten. Die Konzerne arbeiten ungestört an
ihrer schönen neuen Welt.
Eine Entwicklung, die man imAlltag vielleicht noch verdrän-
gen könnte, wäre nicht das angesagte Gegenaphrodisiakum aus
demNetz bereits in die höchsten politischen Ebenen gelangt: ein
Gebräu aus deftig populärem, nationalistischem Dauergewitter.
Egoismus, Abschottung, Dealmaking und respektlose Lügen sol-
len alle zu sagenhaftemReichtum führen und angebliche Verlierer
zu Gewinnern machen.
All das bildet sich auch in der Immobilienbranche ab und
wird unsere Zusammenarbeit radikal verändern. Wie die Pillen
aus dem Sudan-Käfer von Onkel Oswald sind die niedrigen Zin-
sen, verbunden mit winzigen, teurenWohnungen, das angesagte
Aphrodisiakum der Immobilienbranche. Diese befindet sich in
einem Glücksrausch hedonistischer Gefühle. Kurzfristige Deals,
kaufen und wieder verkaufen, rein und schnell wieder raus, hier
und da verbunden mit ruppigem Auftreten ist auch hier allzu
häufig das Reichtum versprechende Geschäftsmodell. Dauerhaft
kann das nicht erfolgreich sein. Das merkt nur gerade keiner. Es
läuft einfach zu gut.
Stephan Bone-Winkel formuliert es auf dem „BEOS Forum
weiter denken“ so: „Wir glauben, wir haben’s drauf, irren uns aber
gewaltig.“ Dass man sich mit solchen in die Zukunft weisenden
Themen in einer Filterblase von Fachleuten bewegt, zeigt Nifty-
reads.com. Nach ihrer Studie haben neun von zehn Menschen
beispielsweise vom „Internet of Things“, dem Konzept der welt-
weit vernetztenDinge undGeräte, noch nichts gehört. Oder: Wer
kennt das Video vom Bau der gedruckten MX3D-Stahlbrücke in
Amsterdam, die komplett von Robotern geschweißt worden ist?
Für den Innovationsforscher Frank Thomas Piller von der
RWTHAachen gibt es nichts Spannenderes als 3D-Druck. Er geht
davon aus, dass Produktionen, die in Niedriglohnländer verlegt
wurden, durch den 3D-Druck wieder zurück zu den Verbrau-
chern – etwa nachDeutschland – gelangen. Alles, was digitalisiert
ist, kann auch gedruckt werden. Häuser, Brathähnchen, Waffen,
menschlicheOrgane, sinnvoll oder nicht, der Phantasie sind keine
Grenzen gesetzt. Künstliche Intelligenz, Robotik, Augmented und
Virtual Reality werden ebenfalls große Veränderungen mit sich
bringen. Klingt weit weg?
Welcher Investor kennt sich mit der Sharing Economy aus,
hat möglicherweise die Stellplatzanzahl seiner Tiefgarage bereits
deutlich reduziert? Welcher Projektentwickler hat bereits eine
eigene Vermietungsplattform für Coworking- oder Coproducing-
Flächen online geschaltet? Immoscout hat das Transaktionsge-
schäft revolutioniert, aber wer bietet Mietverträge per iPhone
an? Wer eine Mitgliedschaft statt eines Mietvertrags? Welcher
Eigentümer ist mit kurzen Mietverträgen einverstanden? Wel-
che Versicherung kauft Super Mixed Spaces? Wer hat Erfahrung
mit Quartieren hoher Dichte in urbanen Räumen? Wer plant
dreidimensional und verwendet Building InformationModeling?
Welche Bank organisiert auch Crowdfunding Capital?
Das sind nur wenige Beispiele, die die Branche direkt betref-
fen. Bone-Winkel empfiehlt Disruptions Workshops („Hacken
wir unser Geschäftsmodell!“). In der Weiterentwicklung dieses
Gedankens kann das imEinzelnen bedeuten, dassman eine Inno-
vationsmanagerin imUnternehmen einsetzt. Dass man die Digi-
talisierung aller Prozesse in seinem Unternehmen gezielt voran-
treibt. Dass man zur Stärkung seiner Kundenbeziehungen auch
digitale Lösungen anbietet. Oder dass man Projekt-Werkstätten
einrichtet, Hierarchien flacher gestaltet und damit die Befähigung
der Mitarbeiter, Entscheidungen vor Ort zu treffen, fördert.
Es gibt 180 PropTech-Unternehmen in Deutschland. Sie
arbeiten von der Suche über die Beratung und Vermittlung bis
hin zur Projektsteuerung und Organisation. Unter dem Begriff
Property Technology werden neuere Entwicklungen wie Apps,
APIs, Big Data Analytics, Cloud Computing, Crowdfunding oder
Maschinelles Lernen zusammengefasst. DasThemengebiet Prop-
Tech umfasst auch den Einsatz von Drohnen, Virtual-Reality-
Anwendungen und Smart-Building-Technologien.
Alexander Ubach-Utermöhl, Mitglied des ZIA Innovation
Think Tank, schlägt den Etablierten vor, sich PropTechs einzu-
laden und ihnen die Frage zu stellen: „Was würdet ihr machen,
wenn ihr uns überflüssig machen wolltet?“
Ich meine, da geht noch mehr.
Zeitfragen: Welcher Investor kennt sich mit Sharing Economy aus? Welcher
Entwickler hat eine Vermietungsplattform für Coworking-Flächen? Welcher
Eigentümer ist mit kurzen Mietverträgen einverstanden?
«
ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,...76
Powered by FlippingBook