Immobilienwirtschaft 05/2015 - page 31

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ligen. Bei diesen Türmen geht der Erschließungs- und Konstruk-
tionsanteil über 50 Prozent. Diese Spielzeuge pubertärer Jungen
sindMeisterwerke an Ineffizienz und Energieverschwendung. Es
geht auch nicht um Monsterhäuser für Superreiche.
Ein hohes Haus ist ein hohes Haus in Relation zu seiner
niedrigeren Nachbarschaft. Damit ist Höhe relativ. Ein 22-ge-
schossiges Hochhaus am Potsdamer Platz wäre inManhattan ein
Zwerg, ist aber am Potsdamer Platz ein Riese. Hochhäuser sind
als Bautypus leidenschaftlich umkämpft. Fallwinde, dunkle Stra-
ßenschluchten, dermögliche Verlust desmenschlichenMaßstabs,
öffentliche Plätze als übrig gebliebene Zwischenräume, eine Hie-
rarchisierung der Stadtsilhouette und eine damit einhergehende
Hierarchisierung der Gesellschaft, „die da oben und wir ganz
unten“ sind nur einige Argumente gegen Hochhäuser.
Sie sind ein diabolisches Werkzeug im Werkzeugkasten der
Stadtplanung. Sie bieten auf die EntfernungOrientierung, werden
mit Prestige verbunden, schaffen zusätzliche räumlicheMöglich-
keiten, insbesondere, wenn sie im Verbund angeordnet werden.
Sie stehen für wirtschaftliche Prosperität, für starke Verdichtung
und eine abwechslungsreiche, inspirierende, ambitionierte Um-
gebung. Sie können bis zu einer gewissen Höhe auch eine wirt-
schaftliche Lösung darstellen und energieeffizient sein. Zugleich
berücksichtigen sie mit ihrem Wohnangebot die unterschied-
lichen Erwartungen der neuen Stadtbewohner. Hochhäuser bie-
ten herausragende Wohnsituationen, aber vor allem für die, die
sie sich leisten können.
An einem Wettbewerb um das höchste Hochhaus der Welt
wird sich keine deutsche Stadt beteiligen. Auch Frankfurt am
Main nicht. Es gibt nur 75Häuser über 100m inDeutschland, da-
von die Hälfte in derMainmetropole. Nicht einmal zehnGebäude
sind über 40 Geschosse, ca. 170 m. Alle stehen in Frankfurt/M.,
alles Bürogebäude. Weil die meisten deutschen Städte eine histo-
rische Silhouette aus Kuppeln und Kirchtürmen besitzen, sind
Hochhäuser zumeist nicht mehrheitsfähig. Megahohe Häuser
passen nicht zwangsläufig zu einer inklusiven Gesellschaft, die
sich am Konsens orientiert und bemüht ist, zwischen den un-
terschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder zu
vermitteln. Extrempositionen sind mit dieser Strategie nur ganz
selten zu erreichen. Denn Stadtplanung ist Gemeinschaftssache.
Viele gesellschaftliche Gruppen sind an dem Diskurs beteiligt.
Auch deshalb ist das Hochhaus nicht der Bautypus, der sich
in Deutschland auf breiter Front hat durchsetzen können oder
durchsetzen wird. Es ist nicht überraschend, dass fast die Hälfte
der 20 höchstenHäuser Europas inMoskau steht. Auch das Argu-
ment der großenVerdichtung ist nicht allein entscheidend für den
Bau von freistehenden Hochhäusern. Große Dichte ist mit den
blockartigen Strukturen des 19. Jahrhunderts energieeffizienter
und kostengünstiger zu erreichen.
Wie so häufig bietet die Kombination unterschiedlicher Sys-
teme eine verbesserte Lösung. Es ist die Verbindung von Sockel
und bis zu 30-geschossigem Hochhaus, von geschlossenem, de-
finiertem Straßen- und Platzraum und der fließenden, offenen
Raumstruktur darüber, die an bestimmten Stellen in der Stadt
eine Lösung sein kann. Hier kommen die Stärken der Moderne
mit denen der gewachsenen Stadt zusammen. Es entstehen klar
definierte, urbane Stadträume mit Läden, Cafés, Restaurants und
weiterer Infrastruktur imErdgeschoss. Warumnicht auch Sport-
vereinen, Musikclubs oder Bürgerinitiativen die Erdgeschoss-
nahen Flächen günstig zur Verfügung stellen? „Die Mehrheit der
Menschen kommt in die Innenstadt, weil sie andere Menschen
treffen und etwas erleben will“, ist Jan Gehl, einer der einfluss-
reichsten Stadtplaner der Welt, überzeugt.
Je höher die Ausnutzung des Grund und Bodens, desto gerin-
ger kann der Kostendruck sein und desto größer ist der Raum für
Alternativen. Für Nutzungen, die Menschen zusammenbringen,
Gemeinschaft fördern und Nachbarschaft erzeugen. Der Con-
cierge als Organisator und Helfer für das ganze Quartier, der
Waschsalon auch als Café, eine Küche zumKochenmit Freunden,
ein Fahrradwerkstattrestaurant, Gemüsegärten mit angeschlos-
sener Fischzucht auf dem Dach. Alles sind attraktive Nachbarn,
die die Lebensqualität der Bewohner und ihren Zusammenhalt
fördern. So kehrt die durchmischte Stadt mit ihrem urbanen,
dichten Leben wieder zurück in die Zentren. Warum soll das
nicht gehen?
Hochhäuser sind leidenschaftlich umkämpft. Bringen Fallwinde, aber
schaffen Raum, verringern Kostendruck. Mit ihnen kehrt die durch-
mischte Stadt mit ihrem urbanen, dichten Leben zurück in die Zentren.
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zur person
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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