CONTROLLER Magazin 1/2019 - page 59

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die jede Führungskraft in ihren Entschei-
dungsfindungen stets berücksichtigt? Oder
sind sich die heutigen Vorgesetzten ihrer
Selbstverantwortung tatsächlich nicht mehr
bewusst? Kann es sein, dass sie weniger ih-
ren eigenen Instinkten und Fähigkeiten ver-
trauen, sondern diese an „App’s – Erfinder“,
„Cloud-Verkäufer“, „Influencer“ und andere
selbsternannte Experten delegieren? Was
sind die Auswirkungen solch punktueller In-
terventionen auf die Haltung der Mitarbeiten-
den und die Unternehmenskultur?
In der Praxis ist diese Veränderung bereits an
einfachen Beispielen erkennbar:
·
·
Geschäftsführer sind nicht in der Lage, ein-
fache Einladungen für ihren „Tag der offenen
Tür“ adressatengerecht zu verfassen.
·
·
Aktualisierte Arbeitseinsatzpläne werden via
„APP“ von Vorgesetzten elektronisch an ihre
Mitarbeitenden mitgeteilt, ohne Änderungs-
begründungen und Rücksprachen. Persön­
liche Kontakte werden auf ein Minimum
reduziert.
·
·
Geschäftsberichte, Prospekte, Anlässe und
Auftritte, sogar Arbeitszeugnisse und Würdi-
gungen werden externen Dienstleistern
übergeben, die sich allesamt nach Trends
ausrichten. Konkurrenten werden sich immer
ähnlicher, obwohl sie dies in jeder „Werbung“
vehement verneinen würden.
Menschen übernehmen Verantwortung für Men-
schen und nennen dies Führung. Sie nehmen
diese Verantwortung jedoch nicht wahr, wenn
sich ihre Handlungen nach sinnentleerten Wort-
kreationen ausrichten. Denn damit werden die
Kompetenzen in der Firma gelähmt und keines-
falls gefördert. Die Kraft über Jahre gewachse-
ner Unternehmenskultur wird nicht genutzt, weil
Vernunft durch dauernde Agilität erstickt wird.
Dies wirkt ermüdend, obwohl mit dem Dabeisein
der Erfolg in Aussicht gestellt wird.
„Industrie 4.0“ und „Consulting 4.0“ sind im
Rückblick entstandene Begriffe (Auflistung von
Wirtschaftsevolutionsschritten) mit einer vagen
Prognose. Was jedoch fehlt, sind begleitende
Gedanken über grundsätzliche, lebenswerte
und sinnstiftenden Ziele der Gesellschaft und
der Entwicklung der Menschen. Dafür sind un-
sere Instinkte und Fähigkeiten wegweisend. Sie
erfordern jedoch die Pflege des Kohärenzge-
fühls, das nach Aaron Antonovsky, Medizinso-
ziologe, wie folgt lautet:
Die Fähigkeit, die Zusammenhänge
des Lebens zu verstehen – Das Gefühl
der Verstehbarkeit
(Wofür steht „Industrie und Consulting 4.0“
konkret?)
Die Überzeugung das eigene Leben
gestalten zu können – Das Gefühl der
Handhabbarkeit
(Was ist machbar und soll damit bewirkt
werden?)
Der Glaube an den Sinn des Lebens –
Das Gefühl der Sinnhaftigkeit
(Wem dient es mit welchem Zweck?)
Unternehmenskulturen dürfen nicht dement
werden, weil sie die komplexen Verbindungen
der nicht sichtbaren Synapsen der Organisation
aufrechterhalten und immer wieder neu ver-
knüpfen. Ein wichtiger Beitrag dazu übernimmt
das Controlling mit dem Thematisieren von Ab-
weichungen von Qualitäts- und Zielvorgaben.
Diese beinhalten immer den Bezug zur Firmen-
DNA – Begründungen des Machbaren und des
Unmöglichen.
Schlussendlich bleibt Controlling am wirksams-
ten, wenn die Rückbesinnung und Pflege der
eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten ge-
währleistet bleiben. Zugleich wird die eigene
Unternehmenskultur in ihrer Authentizität ge-
stärkt und beugt der Demenz vor.
Autoren
Hans R. Hässig
ist Mitinhaber der Beratungsgesellschaft Unternehmenskultur-
Controlling, CH-Dielsdorf. Er hat langjährige Erfahrung als Füh-
rungskraft auf Geschäftsleitungsebene in KMU und arbeitete in
Industriebetrieben im In- und Ausland auf Konzernebene.
E-Mail:
Roland F. Stoff
ist Mitinhaber der Beratungsgesellschaft Unternehmenskultur-Con­
trolling, CH-Dielsdorf. Er hat langjährige Erfahrung als Führungskraft
auf Geschäftsleitungsebene in KMU, in der Industrie, der öffentlichen
Verwaltung und im Gesundheitswesen.
E-Mail:
Infokasten
Entstehung der Begrifflichkeit
Industrie 4.0
Der Begriff wurde von Henning Kagermann,
Wolf-Dieter Lukas und Wolfgang Wahlster
geprägt und erstmals 2011 zur Hannover-
messe in die Öffentlichkeit getragen. Im Ok-
tober 2012 wurden der Bundesregierung
Umsetzungsempfehlungen übergeben. Am
14. April 2013 wurde auf der Hannover-
Messe der Abschlussbericht mit dem Titel
Umsetzungsempfehlungen für das Zu-
kunftsprojekt Industrie 4.0 des Arbeitskrei-
ses Industrie 4.0 vorgelegt. Der Arbeitskreis
stand unter dem Vorsitz von Siegfried Dais
(Robert Bosch GmbH) und Henning Kager-
mann (acatech). Die Begriffe Erste, Zweite
und Dritte industrielle Revolution wurden
historisch im Nachhinein gebildet. Die Ziffer
4.0 soll einen Bezug zu den Vorgänger-Re-
volutionen herstellen und es soll zum Aus-
druck kommen, dass die Veränderung eine
gleiche Bedeutung hätte. Der Autor Wolf-
gang Halang kritisiert den selbstreklamier-
ten Anspruch der vierten industriellen Revo-
lution als „sicher vermessen und unseriös“
und bezieht sich auf Rainer Drath: „Bemer-
kenswert ist die Tatsache, dass erstmals
eine industrielle Revolution ausgerufen wird,
noch bevor sie stattgefunden hat.“
CM Januar / Februar 2019
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