Controller Magazin 1/2018 - page 72

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mende dynamische Veränderungen der Prozes-
se aufgrund des hohen Erfassungsaufwandes
i. d. R. kaum identifiziert werden.
Deskriptive Analytics und ökonomische
Bewertung der Prozesse:
Durch den Ver-
gleich der automatisiert gewonnenen tatsäch-
lichen Prozessabläufe mit den vermuteten
Prozessabläufen (z. B. auf Basis der Dokumen-
tation im Rahmen der Prozesseinführung/-
optimierung) lassen sich Übereinstimmungs-
prüfungen durchführen. Vielen Unternehmen
ist beispielsweise nicht bewusst, wie viele un-
gewollte tatsächliche, evtl. ineffiziente Prozess-
varianten es bei ihnen für sog. „Standardpro-
zesse“ gibt. Diese lassen sich durch Analyse
der quantitativen Prozessmerkmale, wie
z. B. Durchlaufzeiten, Bearbeitungszeiten, Lie-
gezeiten, Inanspruchnahme personeller oder
technischer Ressourcen automatisiert berech-
nen und bewerten.
Hinzu kommt die Möglichkeit einer automati-
sierten ökonomischen Bewertung der Prozes-
se. Während in der klassischen Prozessanalyse
lediglich die Abweichung zu einem Standard-
prozess identifiziert wird, dient die ökonomi-
sche Bewertung der Beurteilung, ob der Pro-
zess eigentlich zielführend ist bezüglich seiner
Effizienz.
Beispiel traditionell: Wenn in 100 Fällen eine
Bestellung nicht ein zweites Mal vom Einkäufer
bearbeitet werden müsste, dann hätten wir x
Stunden Arbeitszeit gespart.
Beispiel Advanced Analytics: Wenn wir Pro-
duktgruppe X nicht täglich, sondern nur alle
zwei Tage liefern lassen, erzielen wir einen 3%
besseren Einkaufspreis durch bessere Ausnut-
zung der Staffel. Die klassische Analyse leidet
zudem an der Voraussetzung, dass der User
den optimalen Prozess kennen muss (bzw. zu
kennen glaubt). In Zeiten von Industry 4.0 und
IOT ist aber tendenziell gerade nicht zu erwar-
ten, dass man „den“ Standardprozess über-
haupt noch identifizieren kann.
Predictive Analytics/Root Cause Analytics/
Simulation:
Auf der Basis fortgeschrittener
Analyseverfahren lassen sich in einer weiteren
Stufe Ursache-Wirkungs-Beziehungen ablei-
ten, Prognoserechnungen erstellen und Pro-
zuvor in einem Data Warehouse konsolidiert
worden waren. Ersichtlich wurde auch, dass die
Ergebnisqualität des Ansatzes natürlich nur so
gut ist, wie die Daten im zugrundeliegenden
SAP-System gepflegt bzw. wie die entspre-
chenden SAP-Felder genutzt werden. Bei-
spielsweise ermittelt Bosch den Sicherheits-
bestand über dynamische Reichweitenprofile
und nicht über das entsprechende Eingabefeld
in SAP. Ähnlich verhält es sich mit der buch-
halterischen Abwicklung von Kundenreklama-
tionen. Diese Besonderheiten müssen bei der
Einrichtung der Software entsprechend be-
rücksichtigt werden.
Projektübergreifende Erkenntnisse
Neben den spezifischen Ergebnissen für den
Partner Bosch konnten durch das Forschungs-
projekt weitere
übergreifende Erkenntnisse
gewonnen werden:
Innovative Technologien ermöglichen es, ein
viel genaueres Verständnis eines Unterneh-
mens zu erarbeiten. Ein detaillierter und un-
verfälschter Blick in die eigentliche „DNA“ –
die realen Geschäftsprozesse – eines Unter-
nehmens erlaubt die Identifikation erheblicher
Verbesserungspotenziale, wie das Erkennen
von Abweichungen gegen „eigentlich imple-
mentierte“ Abläufe. Zentrale Voraussetzung
ist dabei, die tatsächlichen, real ablaufenden
Geschäftsprozesse eines Unternehmens in
Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und zu
optimieren. Auf dieser Grundlage lassen sich
nachfolgende Grundtypen von Potentialen
identifizieren:
Rohdatengewinnung und Strukturierung zu
Prozessen/Prozessvarianten:
Auf Basis der
gewonnenen Daten lassen sich einzelne Pro-
zesse oder Teil-Prozessschritte, aber auch Pro-
zessvarianten im Unternehmen automatisiert
und in Echtzeit erkennen und dokumentieren.
Bereits dieser Schritt ist für viele Unternehmen
überraschend, da sie historisch gewohnt sind,
echte Prozessmodelle nur im Rahmen aufwen-
diger manueller Analysen (nachträglich) zu er-
heben und zu dokumentieren. Aufgrund des
hohen manuellen Aufwandes erfolgte dabei
häufig nur eine sehr beschränkte Teilerfassung
der Prozesse, zudem können häufig vorkom-
Correlations, Regression, Simulation) angesto-
ßen werden.
Bemerkenswert war, dass die
Analytics En-
gine als lernendes System ausgelegt
war,
welche die Modelle und Analysen in Echtzeit
generierte. Auf diese Weise führten sowohl
neue Datengrundlagen als auch User-Interak-
tionen zu ständigen Lern- und Anpassungs-
prozessen des Systems.
Erkenntnisse Projektpartner Bosch
Aus analytischer Sicht konnten für den Projekt-
partner Bosch zusammenfassend
drei zentrale
Wertbeiträge
erarbeitet werden:
·
Identifikation zentraler Einflussgrößen/
Werttreiber bzw. -vernichter.
·
Identifikation der verursachenden Bereiche
im Unternehmen.
·
Identifikation des verursachenden Prozesses
und Gegenmaßnahmen.
In jedem der drei Anwendungsfälle ließen sich
noch während der Laufzeit des Forschungs-
projektes deutliche Optimierungspotenziale
identifizieren. In der Sparte Rails konnten
durch eine Bestandsreduzierung mehrere
Tausend Euro eingespart werden. In der
Sparte Injectors ist ebenfalls bereits während
des Forschungsprojekts der Bestand in drei
Werken um rund eine halbe Million Euro ge-
senkt worden, da der Bestand dauerhaft hö-
her als der tatsächliche Verbrauch gewesen
ist. Zudem sind hier noch mehrere Millionen
Euro an Bestandsoptimierungen zu prüfen. Im
Forderungsmanagement hat eine tagesge-
naue Prüfung zu spät zahlende Kunden iden-
tifiziert, wodurch ein zusätzlich gebundenes
Kapital von zehn Mio. Euro auszuweisen ist.
Zur Klärung ist der Kontakt mit den entspre-
chenden Regionalgesellschaften aufgenom-
men worden.
Als zentraler Vorteil wurden von den Projektteil-
nehmern, neben dem Zusammenspiel von auto-
matisierter, algorithmischer Analytics und visu-
eller Analytics durch den User, die unverdichtete,
granulare Datenbasis genannt. Für die Analy-
sen standen die kompletten tatsächlichen Da-
ten aus den ausgewählten, zugrundeliegenden
Geschäftsprozessen zur Verfügung, die nicht
Herausforderungen und Potentiale im Bereich Daten und Analytics
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