Controller Magazin 6/2018 - page 31

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Die Betriebswirtschaftslehre hat sich um den
Kristallisationskern des Rechnungswesens he-
rum entwickelt. Der bekannteste deutsche Be-
triebswirt aus den Anfangsjahren, Eugen
Schmalenbach, ist hauptsächlich für seine Ar-
beiten auf dem Feld des Rechnungswesens,
speziell dem der Kostenrechnung bekannt. Die
exponierte Rolle des Rechnungswesens traf
auch für die Praxis zu. Es bedeutete dort den
Kern des „kaufmännischen“ Bereichs. Ent-
sprechend hoch war das Renommee der im
Rechnungswesen arbeitenden Kaufleute. Dies
galt auch und gerade für die Kostenrechner,
die eine Verbindung von Ingenieurswissen-
schaft und Management herstellten und einen
„Durchgriff von Produktivitätserwägungen auf
Wirtschaftlichkeitserwägungen“
ermöglichten,
wie es ein Berater in meiner gerade abge-
schlossenen empirischen Studie zu Stand und
Zukunft der „deutschen“ Kostenrechnung aus-
gedrückt hat. Die entscheidungsorientierte
Kostenrechnung stand dann in den 1970er
Jahren quasi „an der Front“ der betriebswirt-
schaftlichen Entwicklung und spielte eine
wichtige Rolle in der aufkommenden entschei-
dungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, die
schnell die produktionswirtschaftliche Sicht-
weise ablösen sollte.
In dieser Zeit liegen auch die Anfänge des Con-
trollings. Keimzelle war das Beteiligungscont-
rolling, von dem es sich auf die Unternehmens-
planung und damit auf die operative Regel-
steuerung ausgedehnt hat. Für die mit der Zeit
immer heterogener werdende Controllership
war die Kostenrechnung eine zentrale Informa-
tionsbasis, oder – wie es ein Kostenrechner in
der Studie ausgedrückt hat –
„die Spinne im
Netz“
. Entsprechend sind die Kostenrech-
nungsabteilungen häufig im Controllerbereich
aufgegangen.
In diesem Prozess haben die Controller den
Kostenrechnern die „Management-Butter“
vom Brot genommen: Die Kostenrechner wur-
den zu Instrumentenspezialisten, die viel Ar-
beit im Back-Office leisten und dort sehr stark
auf das ERP-System des Unternehmens bezo-
gen sind, ohne das heute im Controlling nichts
mehr geht. Die Controller sitzen dagegen an
den Schnittstellen zu den Kunden, den Mana-
gern. Deshalb wurde die Forderung, Busi-
ness-Partner zu sein, auch nur für Controller
erhoben. Ich kenne keine Quelle, wo dies ex-
plizit auch für Kostenrechner postuliert wird.
Umgedreht wurde von mir an dieser Stelle (in
Heft 4/2016) lediglich gefordert, dass der
Business Partner-Anspruch bei Controllern
nicht nur an Manager, sondern auch an finan-
zinterne Experten gerichtet sein sollte – und
eine zentrale Gruppe davon sind die Kosten-
rechner: Laut Statistik der Bundesagentur für
Arbeit gab es zum Stichtag des 31.12.2016 –
neben 80.636 Controllern – noch 21.265
Kostenrechner in Deutschland (vgl. Grunwald-
Delitz et al. 2018).
Ein zentrales Element des Business Partners
ist die intensive Kenntnis des Geschäfts. Nur
damit ist es möglich, mit Managern auf Au-
genhöhe zu interagieren. Wie können Control-
ler aber diese Kenntnisse aufbauen? Die Vor-
schläge der Literatur gehen stark in Richtung
eigener Erfahrung im Geschäft, in Richtung
von Karrieren, die weg aus den Büros in der
Zentrale führen, die die Controller idealerwei-
se selbst in Managerpositionen bringen. Eine
Möglichkeit, Geschäftskenntnisse zu erwer-
ben, habe ich dagegen in dieser Form noch
nie gehört – und auch nicht selber postuliert:
Sie besteht darin, das Geschäft in seiner
Struktur und seinen Bestimmungsfaktoren in
der Kostenrechnung kennenzulernen! Im Rah-
men meines Forschungsprojekts vertrat eine
Kostenrechnerin folgende Meinung:
„Alle mei-
ne Kostenrechner kennen das Geschäft sehr
gut. Die ganzen Geschäftsprozesse kennen wir
besser als die Controller. ... Sie können ja die
Kosten gar nicht verteilen, wenn Sie die dahin-
terliegenden Prozesse nicht kennen. Wir ha-
ben deswegen auch einen sehr guten eigenen
Kontakt zu den Produktionsabteilungen oder
auch zum Marketing. Unsere Finanz-Controller
wissen dagegen im Zweifel nicht zwingend,
wie ein Produkt durch den Produktionsprozess
läuft und wie die Produktionsprozesse dafür
stattfinden. Wir müssen das aber wissen,
sonst machen wir ja große Fehler.“
In der Tat
ist das ein spannendes Argument, das zu den
Warnungen passt, Controllern werde beim di-
gitalisierungsbedingten Wegrationalisieren
der transaktionalen Prozesse im Controlling
ein wichtiges Lernfeld genommen. Es könnte
also für einen Controller durchaus Sinn ma-
chen, sich wieder mehr mit Kostenrechnung
zu beschäftigen und bei Business Partnering
nicht nur an Manager, sondern auch an Kos-
tenrechner zu denken!
Kennen Kostenrechner
das Geschäft besser als
die Controller?
von Jürgen Weber
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Institus für Management und Controlling
(IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management Cam-
pus Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
edu/controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums
des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM November / Dezember 2018
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