CONTROLLER Magazin 5/2017 - page 59

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Controller sehen sich gerne als „Single Source
of Truth“ für alle steuerungsrelevanten Informa-
tionen. Hierzu zählen neben den klassischen
Kosten- und Ergebnisgrößen Informationen aus
dem externen Rechnungswesen – wie z. B. der
EBIT –, daneben auch ausgewählte nicht-finan-
zielle Informationen. Dies sind insbesondere die
Key Performance Indicators (KPI), die auch im
Rahmen des Performance-Managements für
Incentivierungszwecke genutzt werden. Con-
troller sind bei ihrer Festlegung zumindest eng
eingebunden.
Dass Controller mittlerweile in den meisten Un-
ternehmen die zentrale Verantwortung für diese
Informationen tragen, hilft ihnen sehr, eine ihrer
Kernaufgaben zu erfüllen: Die unterschiedli-
chen Teilbereiche des Unternehmens abge-
stimmt zu steuern, von der Budgetierung bis hin
zum Abweichungsgespräch zur Zieldurchset-
zung. Der Detailgrad ihrer Zahlenbasis ist exakt
auf die Wahrnehmung dieser Steuerungsauf-
gabe ausgerichtet. Granularere, mehr ins Detail
gehende Informationen bleiben den Bereichen
vorbehalten und werden dort häufig nicht von
den dortigen Controllern, sondern von der Linie
erzeugt und genutzt.
Aktuell ist unter dem Schlagwort „Big Data“
eine starke Ausweitung steuerungsrelevanter
Informationen im Gespräch. Sollte das der
Startpunkt für Controller sein, das Set an In-
formationen, für die sie den Anspruch einer
Single Source of Truth erheben, deutlich aus-
zuweiten?
Die Antwort auf diese Frage wird wesentlich
davon bestimmt, ob die neuen Informationen
für eine Gesamtsteuerung wirklich gebraucht
werden. Controller müssen für diese zum einen
die Funktionsweisen und Geschäftsmodelle
der unterschiedlichen Bereiche kennen und
beurteilen können. Zum anderen müssen ihnen
die Zahlen bekannt sein, die den Erfolg der
Modelle charakterisieren. Dies sind die ange-
sprochenen finanziellen Erfolgsgrößen und die
nicht-finanziellen KPIs.
Neue und/oder vertiefte Daten sind mögli-
cherweise hilfreich, die Geschäftsmodelle auf
ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen, etwa da-
hingehend, nicht mehr Kundengruppen, son-
dern individuelle Kunden anzusprechen und
zu bedienen. Allerdings wird das vermutlich
nicht dazu führen, dass die Zahl der Steue-
rungsgrößen systematisch steigt, eher, dass
sich die Steuerungsgrößen häufiger verän-
dern. Die Steuerung würde sonst auch schnell
zu komplex. Folgt man diesen Überlegungen,
könnten Controller den Anspruch, Single
Source of Truth für die Steuerungsgrößen zu
sein, weiter aufrechterhalten.
Betrachtet man nicht Steuerung, sondern das
Treffen von Entscheidungen, kommt man zu ei-
nem anderen Urteil. Das Spektrum der Ent-
scheidungsobjekte und -inhalte ist viel zu breit,
um von einer einzelnen Unternehmensfunktion
beherrscht werden zu können. Entscheidungen
sind fallweise und häufig dezentral zu treffen.
Jeder Versuch einer Standardisierung wäre
problematisch, weil viel zu aufwändig und zu-
dem mit der Gefahr verbunden, zu inflexibel zu
sein. Die Rolle der Controller ist hier eine ande-
re, die des betriebswirtschaftlichen Experten,
der durch seine Expertise, aber auch durch
Kenntnis der Datenzugänge und Auswertungs-
methoden bei der Entscheidungsfindung unter-
stützt. Im Kontext von Big Data ist diese Rolle
allerdings kein Selbstläufer. Entsprechender
Lernwille und entsprechendes Engagement der
Controller sind unverzichtbar.
Folgt man diesen Gedanken, bedeutet Digitali-
sierung schließlich auch den Tod der Lieblings-
idee von Paul Riebel, der des Nebeneinanders
einer Grundrechnung und vieler Auswertungs-
rechnungen, die jeweils in der Hoheit der Kos-
tenrechner bzw. Controller stehen. Eine multi-
zweckbezogen auswertbare Grundrechnung
funktioniert zu Zeiten von Big Data und perma-
nenter Veränderung nicht mehr. Machbar ist
nur noch ein begrenztes Set an Standardinfor-
mationen, die insbesondere für Steuerungs-
zwecke verwendet werden können. Auch diese
Datenbasis ist schon mächtig genug, und das
sowohl hinsichtlich des Datenvolumens als
auch der Herausforderung für Controller, Single
Source of Truth dafür zu sein.
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Institus für Management und Controlling
(IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management Cam-
pus Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
edu/controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums
des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM September / Oktober 2017
Was heißt „Single Source of
Truth“ in der Zeit von Big Data?
von Jürgen Weber
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