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lerbild zu bekennen. Handlungsspielraum be-
steht dabei für ihn kaum, obwohl es keine
rechtlichen Regeln gibt, die einen Business
Partner zwingend verlangen.
Die dritte Form des Drucks von außen ist
mi-
metischer Natur.
Hier geht es darum, das weit
verbreitete Handeln Anderer zur Referenz für
das eigene Handeln zu machen. Ein Beispiel lie-
fert der hohe Stellenwert, der heute Benchmar-
king zukommt. Andere Beispiele sind Wertori-
entierte Steuerung oder die Balanced Score-
card. Alle drei Instrumente genießen heute so
etwas wie Verkehrsgeltung. Wer sie anwendet,
muss das nicht begründen, alle anderen tun
das ja auch. Wer sie ablehnt, steht dagegen un-
ter einem erheblichen Erklärungsdruck.
Die drei Instrumente liefern auch ein gutes Bei-
spiel dafür, dass die unterschiedenen Typen
von Einflüssen auch zusammenwirken können:
Alle drei Instrumente stehen in jedem aktuellen
Lehrbuch zum Controlling als sinnvoll beschrie-
ben und sind gleichzeitig in der Praxis weit ver-
breitet. Nur in rechtliche Regelungen sind sie
nicht einbezogen worden, im Gegensatz zum
Beispiel zu Korea, wo die Einführung einer Ba-
lanced Scorecard für öffentliche Institutionen
lange Jahre Pflicht war.
Gegen einen solchen vereinten Druck zu oppo-
nieren, einen eigenen Weg zu finden und zu
gehen, fällt sehr schwer. Wer dies tut, steht
ständig im Rechtfertigungsdruck, sei es ge-
genüber Eignern und anderen Stakeholdern,
sei es gegenüber den eigenen Mitarbeitern.
Ökonomische Effizienz ist für das neue Instru-
ment oder Vorgehen kein unabdingbares Krite-
rium. Das Argument legitimen Handels kann
stärker sein als eine Wirtschaftlichkeitsrech-
nung, insbesondere dann, wenn negative öko-
nomische Konsequenzen auf den ersten Blick
nicht erkennbar sind.
Die Soziologie kann uns aber auch auf einem
anderen Feld wichtige Erkenntnisse liefern, das
für Controller – von ihnen selbst postuliert –
immer wichtiger geworden ist:
Veränderungs-
prozesse
. Die Rolle eines Change Agents als
aktuelle Erweiterung des Rollenspektrums von
Controllern war Thema meiner letzten Kolum-
ne. In der soziologischen Forschung hat man
sich mit Veränderungen in einer ganz speziellen
Art auseinandergesetzt: Viele konzeptionelle
Überlegungen und empirische Erkenntnisse
zeigen, dass Unternehmen dem Druck von au-
ßen nicht immer vollumfänglich gerecht wer-
den, sondern dies zu einem nicht unbeträchtli-
chen Umfang nur vorspiegeln. Drei in der Praxis
oft zu beobachtende Beispiele mögen dies ver-
anschaulichen.
Das erste Beispiel ist die schon angesprochene
Balanced Scorecard. Sie wurde von Kaplan und
Norton als ein umfassendes, die Strategie des
Unternehmens mit der operativen Steuerung
verbindendes Führungsinstrument konzipiert.
Die eher schlichte äußere Form sollte nicht über
den weitreichenden Anspruch des Konzepts
hinwegtäuschen! In der Praxis ist sie in vielen
Unternehmen aber zu einem unverbundenen
Nebeneinander von finanziellen und nicht finan-
ziellen Kennzahlen degeneriert. Das hat mit der
Idee von Kaplan und Norton nur noch sehr we-
nig zu tun, lässt sich aber sehr ressourcen-
schonend implementieren.
Als zweites Beispiel ist die seit ca. zwei Jahr-
zehnten erfolgende Einführung von Kosten-
rechnung in Behörden zu nennen, die von der
Politik als Zeichen für die Umsetzung der Idee
eines „modernen Staats“ herangezogen wurde.
Der Bundesrechnungshof hat kürzlich moniert,
dass viele dieser Kostenrechnungen ein bemit-
leidenswertes Dasein fristen. Sie liefern Zahlen,
die niemand braucht, zumindest aber niemand
verwendet. Nur das Instrument selbst wurde
implementiert, nicht auch die an dieses zu
knüpfenden Steuerungsprozesse.
Das dritte Beispiel betrifft des Thema Nach-
haltigkeit, speziell ökologische Nachhaltig-
keit. Unternehmen haben sich dem Monito-
ring von nachhaltigkeitsbezogenen Themen
in erheblichem Maße gewidmet. Eine Fülle
von Zahlen und Berichten war die Folge. Bei
genauerem Hinsehen musste einem aber oft-
mals der Begriff eines „Greenwashing“ in den
Sinn kommen: Die Unternehmen waren deut-
lich kreativer in der Kommunikation von Cor-
porate Social Responsibility-Aktivitäten als in
deren Verankerung im täglichen Handeln.
Auch hier war und ist ein Verhalten zu
beobachten, das die Soziologen als „Ent-
kopplung“ bezeichnen.
Kennt man dieses
Phänomen, fallen einem diverse praktische
Beispiele ein – sicher auch Ihnen!
Zusammengefasst macht es also erheblich
Sinn, sich als Controller (und auch als Mana-
ger!) stärker mit den Erkenntnissen der Soziolo-
gie auseinanderzusetzen. Man mag die dortige
Sprache und Begriffswelt nicht immer leicht zu-
gänglich finden. Man muss auch nicht bereit
sein, seiner gewohnten Vorstellung, wirtschaft-
liche Tatbestände ließen sich hinreichend ob-
jektiv abbilden, gänzlich abzuschwören. Mit Le-
gitimität als einer neuen, zusätzlichen Zielgröße
lassen sich aber – so auch meine persönliche
Erfahrung – manche ökonomischen Probleme
deutlich besser beschreiben und einer Lösung
zuführen. Auch eine kritische Sicht darauf, was
man als gegeben richtig ansieht und was man
besser anzweifeln und kritisch hinterfragen
sollte, kann absolut nicht schaden, auch – und
gerade! – keinem Controller. Wenn Sie also et-
was freie Zeit haben ...
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Institus für Management und Controlling (IMC)
der WHU – Otto Beisheim School of Management Campus Val-
tionalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM Juli / August 2017