CONTROLLER Magazin 6/2017 - page 82

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eingegangen werden soll. Dieses Verständnis
von Risikoappetit, das die Brücke zur risikoge-
rechten Bewertung der Beurteilung von Ertrag-
Risiko-Profilen von Handlungsalternativen bei
der Vorbereitung unternehmerischer Entschei-
dungen darstellt, wird nachfolgend vertieft.
15
Als Kenngröße für den Risikoappetit kann man
so eine als
Ȝ
-bezeichnete Zahl ableiten, die
genau ausdrückt, wieviel zusätzliche Rendite
man bei diesen alternativen Investitionsmög-
lichkeiten pro zusätzlicher Einheit Risiko er-
warten kann.
16
Als Risikomaß verwendet man
(in Anlehnung an das Capital Asset Pricing
Model, CAPM) oft die Standardabweichung
der Erträge; auch die Verwendung des Value-
at-Risk (VaR) ist möglich.
17
Bei üblichen An-
nahmen über die Rendite des Aktienmarktes
im Vergleich zu der von Staatsanleihen (Markt-
risikoprämie)
18
und der Volatilität der Aktien-
marktrendite liegt die Größe
Ȝ
bei ca. 0,25.
Die typische Risikoaversion bzw. den typi-
schen Risikoappetit von Akteuren am Kapital-
markt kann man damit wie folgt interpretieren:
Es wird eine zusätzliche Rendite von 0,25%
gefordert für jeden Punkt zusätzlicher Volatili-
tät (Standardabweichung).
19,20
Die Anwendung
dieses Konzepts für den Risikoappetit bei der
Entscheidung bezüglich dreier Handlungsopti-
onen zeigt das folgende Fallbeispiel (siehe Ab-
bildung 3).
21
Ausgehend von einer Planung und Risikoana-
lyse (mit Risikoaggregation) kann man bei der
Vorbereitung von Vorstandsentscheidungen
bzgl. der Handlungsoptionen A, B oder C (z. B.
Investition oder Akquisition) folgendes Ergeb-
nis ableiten:
23
Handlungsoption B fällt aus, weil
der Umfang der zusätzlichen Risiken so groß
ist, dass das Risikodeckungspotenzial „über-
strapaziert wird“ (die Risikotragfähigkeit RTF
würde negativ). Die Handlungsoptionen A und
C erhöhen auch das (aggregierte) Unterneh-
mensrisiko. Der Risikotragfähigkeitswert bleibt
jedoch positiv, so dass der zusätzliche Risiko-
umfang „verkraftbar“ ist, ohne eine „be-
standsgefährdende Entwicklung“ befürchten
zu müssen. Der in der vorletzten Spalte be-
rechnete Wertbeitrag (Δ Wert) fasst die Aus-
wirkung der Handlungsoptionen auf Ertrag und
Risikoumfang in einer Kennzahl, ein Perfor-
mancemaß, zusammen. Der Wertbeitrag er-
gibt sich durch die Berechnung eines Risiko-
geben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein In-
vestmentgrade-Rating verloren wird.
Messung von Risikoappetit
und risikogerechte Bewertung
Oben wurde bereits ausgeführt, dass man den
Begriff Risikoappetit durchaus unterschiedlich
belegen kann (siehe Definition bei 3a und 3b).
Sieht man Risikoappetit als eine „Variante“ der
Risikotragfähigkeit mit einem noch niedrigeren
„Anspruchsniveau“ als die Risikotragfähigkeit,
kann man die hier erläuterten Messmethoden
in analoger Weise verwenden. Bezüglich des
Risikoappetits gibt man dann also beispielswei-
se an, welcher Verlust zu verkraften wäre, ohne
dass die negative Abweichung vom geplanten
Gewinn eine „Gewinnwarnung“ (ad-hoc-Mittei-
lung) zur Folge hätte.
Es wurde allerdings auch schon erwähnt, dass
es durchaus möglich und sogar vorteilhaft ist,
den Begriff Risikoappetit inhaltlich anders zu
belegen. Risikoappetit drückt dann aus, wieviel
zusätzliches Risiko für einen bestimmten zu-
sätzlichen möglichen Ertrag (erwarteter Ertrag)
den das Unternehmen verkraften kann, ohne
dass das Rating unter „B“ absinkt.
b)
Wahrscheinlichkeit
, dass bei den gegebe-
nen Risiken in (z. B. einem Jahr) der Risiko-
tragfähigkeitswert (siehe a) negativ wird.
Messung der Risikotoleranz
Wie oben bereits ausgeführt, kann man Risiko-
toleranz mit Bezug auf ein angestrebtes, für die
Existenzsicherung aber nicht zwingend erfor-
derliches Rating definieren (z. B. bezüglich ei-
nes BB- oder BBB-Ratings). Formal entspricht
dieses Verständnis der Risikotoleranz gerade
der Konzeption der Risikotragfähigkeit mit ei-
nem „weniger anspruchsvollen“ Bezugspunkt.
Die oben erläuterten Methoden zur Messung
der Risikotragfähigkeit kann man aber damit für
die Risikotoleranz weitgehend übernehmen,
was anhand eines Fallbeispiels auch gezeigt
wird. So kann man einen Risikotoleranzwert
angeben, der zeigt, welchen (liquiditätswirksa-
men) Verlust das Unternehmen verkraften
kann, ohne ein Investmentgrade-Rating (BB-)
zu verlieren. Mittels Risikoaggregation (Monte-
Carlo-Simulation) kann man zudem wieder an-
Autoren
Prof. Dr. Werner Gleißner
ist Vorstand bei der FutureValue Group AG in Leinfelden-Ech-
terdingen und Honorarprofessor für Betriebswirtschaft, insb.
Risikomanagement, an der TU Dresden. Er ist Mitglied im Inter-
nationalen Controller Verein (ICV) und im Beirat der Risk Ma-
nagement Association.
E-Mail:
Marco Wolfrum
ist Partner und Senior Analyst bei der FutureValue Group AG in
Leinfelden-Echderingen. Er ist im Vorstand der Risk Management
Association.
E-Mail:
Abb. 3: Risikotragfähigkeit (RTF), Risikoappetit (
Ȝ
) und Wertbeitrag von Handlungsoptionen
Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz, Risikoappetit und Risikodeckungspotenzial
1...,72,73,74,75,76,77,78,79,80,81 83,84,85,86,87,88,89,90,91,92,...116
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