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Zusammenfassend kann man damit folgende
Begriffsverständnisse festhalten:
1. Die
Risikotragfähigkeit
misst den Abstand
des aktuellen „Status quo“ zu dem Punkt,
der als „bestandsgefährdende Entwicklung“
im Sinne §91 Absatz 2 Aktiengesetz ange-
sehen werden muss (z. B. also bis zum Ver-
lust eines B-Ratings oder der Verletzung von
Covenants).
2. Die
Risikotoleranz
misst entsprechend den
Abstand von „Status quo“ zu (anspruchsvol-
leren) Anforderungen an ein von dem Unter-
nehmen gewünschtes Mindestrating, z. B.
„Sicherung des Investmentgrade-Ratings“
(BBB-).
3. a) Der
Risikoappetit (Konzept A)
ist der
Umfang möglicher (negativer) Planabwei-
chungen, die im üblichen Geschäftsablauf
als akzeptabel angesehen werden (und z. B.
innerhalb von 5 Jahren höchstens einmal
überschritten werden) – wobei bei derarti-
gen Planabweichungen nicht einmal unbe-
dingt Verluste auftreten müssen.
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3. b) Der
Risikoappetit (Konzept B)
als Anfor-
derung an einen zusätzlichen Ertrag pro Ein-
heit eines zusätzlichen Risikos (gemessen
durch ein gewähltes Risikomaß) und damit
Ausdruck von Mindestanforderungen aus
Ertrag-Risiko-Profil von Investitionsmöglich-
keiten oder Projekten.
Für den Risikoappetit findet man also zwei
durchaus unterschiedliche Interpretations-
kennen (§91 Aktiengesetz). Die Risikotragfähig-
keit drückt entsprechend den „Abstand“ zwi-
schen der aktuellen Situation und dem Punkt
aus, bei dem man von einer Bestandsgefähr-
dung ausgehen muss (in Euro oder alternativ
auch/ergänzend z. B. in Prozent des EBITDA).
Von einer „bestandsgefährdenden Entwicklung“
ist im Allgemeinen auszugehen,
1. wenn das Eigenkapital verzehrt wird (Über-
schuldung), oder
2. bei einer drohenden Illiquidität, weil
a. Kreditvereinbarungen (Covenants) verletzt
werden, die eine Kündigung der Kredite
zur Folge haben oder
b. für die Finanzierung erforderliche Min-
destanforderungen an das Rating nicht
mehr gewährleistet sind (Unterschreiten
eines z. B. B-Ratings)
Viele Unternehmen hoher Bonität haben einen
so hohen Abstand zu dem „kritischen Punkt“
der Bestandsgefährdung, dass diese für die
Unternehmenssteuerung ergänzend einen
zweiten Schwellenwert betrachten, bezüglich
dessen die Risikotoleranz gemessen wird. Für
manche Unternehmen bester Bonität ist diese
Schwelle z. B. der Investmentgrade (BBB-). Un-
tersucht wird entsprechend
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, welche negativen
EBIT-Auswirkungen maximal zu verkraften wä-
ren (durch Risiken), bevor der Investmentgrade
verloren geht.
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Für ein typisches mittelständi-
sches Unternehmen mag dagegen die Risiko-
toleranz in Bezug auf die Schwelle des „BB-
Rating“ geschätzt werden.
auch im neuen IDW PS 981 (2017)
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als wich-
tiger Baustein eines Risikomanagementsys-
tems genannt ist.
Im neuen IDW PS 981 von 2017 wird die For-
mulierung einer Risikostrategie gefordert, die
insb. folgende Aussagen berücksichtigt
·
Risikotragfähigkeit: maximales Risikoaus-
maß, welches das Unternehmen ohne Ge-
fährdung seines Fortbestands tragen kann.
·
Risikotoleranz: maximal tolerierte Abweichung
in Bezug auf die angestrebte Zielsetzung.
·
Risikoappetit: grundsätzliche Bereitschaft,
zur Erreichung angestrebter Ziele und Wert-
steigerungen die damit verbundenen Risiken
einzugehen.
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Man erkennt aus der Definition, dass man den
Risikoappetit auch anders interpretieren kann,
als eine „schwächere“ Version der Risikotrag-
fähigkeit. Risikoappetit bezieht sich offenbar
auf die Bereitschaft, für einen gegebenen Ertrag
Risiken einzugehen, also auf die Beurteilung von
Ertrag-Risiko-Verhältnissen, und damit eine risi-
kogerechte Bewertung, was in den nachfolgen-
den Abschnitten diskutiert wird (wertorientierte
Steuerung, vgl. Gleißner, 2014a und 2011).
Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz und
Risikoappetit: eine Abgrenzung
Risikotragfähigkeit korrespondiert dabei unmit-
telbar mit der gesetzlichen Anforderung „be-
standsgefährdende Entwicklungen“ früh zu er-
Abb. 1: Zeigt Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz und Risikoappetit im Kontext
Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz, Risikoappetit und Risikodeckungspotenzial