CONTROLLER Magazin 2/2017 - page 51

49
Weise:
Wir sollten uns bewusst machen, dass drei von fünf der arbeitslo-
sen geflüchteten Menschen unter 35 Jahren alt sind und fast ein Viertel
sogar noch unter 24. Für mich ist es unverzichtbar,
dass wir als Gesell-
schaft in diese Menschen, die ihr Land verlassen und fliehen muss-
ten, investieren und dass wir ihnen die berufliche Teilhabe ermögli-
chen.
Allerdings sollten wir damit auch keine zu kurzfristigen Erwartun-
gen verknüpfen. Der Weg in den Arbeitsmarkt wird für viele Geflüchtete
lang sein. Die Sprache und insbesondere unsere Schrift müssen erlernt
werden. Qualifikationen müssen erkannt, anerkannt und ausgebaut oder
neu vermittelt werden. Das alles wird lange dauern und viel kosten. Aber
die Alternative, nicht in die Integration zu investieren, würde die Gesell-
schaft deutlich teurer zu stehen kommen. Das sollte uns allen klar sein.
Biel:
Herr Weise, Sie sind derzeit außerordentlich beschäftigt und viel-
fältig gefragt. Daher einen ganz besonderen Dank und viel Respekt,
dass Sie dieses Interview für das Controller Magazin ermöglicht haben.
Sie haben mit Ihren Antworten Fakten und Transparenz in dieses kom-
plexe Thema gebracht, vielleicht auch Missverständnisse ausgeräumt.
Sie haben uns mit Ihren Hinweisen und Einschätzungen Impulse zur
weiteren und vertieften Beschäftigung mit der beruflichen Integration
von Flüchtlingen vermittelt. Ihre Äußerungen erfolgten aus der Perspek-
tive eines Spitzen-Managers, der große Verantwortung empfindet, aber
auch aus der Sicht eines „Treibers des modernen Controllings“. Nicht
zuletzt lassen die Stellungnahmen Ihre Orientierung am christlichen
Menschenbild erkennen.
Weise:
Wir beobachten eine
hohe Motivation der Geflüchteten
, zu ih-
rer Integration beizutragen. Und wir reden hier über die repräsentative
Mehrheit und nicht über einige wenige, aber plakative Einzelfälle. Es ist
ein Irrglaube, wenn manche annehmen, dass wir sanften Druck ausüben
müssen, um zur Teilnahme am Integrationskurs zu motivieren. Die Nach-
frage ist hoch und wir arbeiten intensiv daran, die benötigte Menge an
solchen Kursen in den jeweiligen Regionen sicherzustellen.
Biel:
Vielleicht lässt sich diese Aussage an einem Beispiel illustrieren.
Weise:
Ja, gerne: Vor einem Jahr hat der Verwaltungsrat der BA unter
dem damals bestehenden gesellschaftlichen Druck beschlossen, ein be-
fristetes Programm sozusagen als Nothilfe über die Agenturen für Arbeit
zu starten. Geflüchtete mit hoher Bleibeperspektive sollten eine erste
Heranführung an die deutsche Sprache und Gesellschaft erfahren kön-
nen. Die Teilnahme war freiwillig und wir haben mit rund 100.000 Teil-
nehmern an diesen Einstiegskursen gerechnet. Geworden sind es dann
in nur 2 Monaten über 230.000 Eintritte. Diese Beispiele und viele wei-
tere Erfahrungen überall in Deutschland belegen für mich eine ausge-
sprochen hohe
Motivation der Geflüchteten
, unsere Sprache zu lernen
und sich hier in Arbeit zu integrieren.
Biel:
Gilt nun dieser positive Befund ungeteilt?
Weise:
Differenzierter ist das Bild, wenn wir über langfristige Bildungs-
maßnahmen wie Umschulungen oder komplette Ausbildungen reden.
Hier haben wir gelernt, dass viele Geflüchtete schnell in Arbeit gehen
müssen oder wollen. Zum Beispiel wollen sie die Daheimgebliebenen fi-
nanziell unterstützen oder müssen Schulden bei Schleusern abbezahlen.
Unsere Strategie wird es deshalb in vielen Fällen sein, diese Menschen
zunächst einmal in Beschäftigung zu bringen und dann weiter dafür zu
werben, sich neben der Arbeit zu qualifizieren.
Wir wollen nicht, dass
ein Start als Helfer bedeutet, immer Helfer bleiben zu müssen.
Biel:
Lassen Sie uns bitte zusammenfassen: „Es dauert und kostet“ ist
eine häufig, auch aus Ihrem Haus zu vernehmende Feststellung und An-
kündigung. Trotzdem heißt es aber auch, wiederum auch bei Ihnen, „wir
schaffen das“. Zwei Seiten einer Medaille? Wie lassen sich diese Beurtei-
lungen zusammenbringen?
Weise:
Aus Arbeitsmarktsicht hätte es die ungesteuerte Zuwanderung aus
Fluchtgründen sicher nicht gebraucht. Drohende Fachkräfteengpässe be-
kämpfen wir hiermit nicht.
Aber das Asylrecht fragt eben ganz bewusst
nicht nach der Verwertbarkeit der mitgebrachten Qualifikation.
Wenn
aber die geflüchteten Menschen schon einmal hier sind, dann müssen und
wollen wir etwas daraus machen. Sie in Arbeit integrieren, den jüngeren
Geflüchteten die schulische Bildung ermöglichen und ihnen eine ordentliche
Ausbildung schmackhaft machen. Insbesondere deshalb, weil wir wissen,
dass Beschäftigung ein wichtiger Hebel gesellschaftlicher Integration ist.
Biel:
Zu guter Letzt: Haben wir es im Grunde mit einem immateriellen
und materiellen Investitionsprojekt von Gesellschaft und Wirtschaft mit
mittel- und langfristigem Zeithorizont zu tun?
U N I V E R S I T Ä R E R Z E R T I F I K AT S K U R S
IAS/IFRS Accountant (Univ.)
Weitere Informationen finden Sie unter:
CM März / April 2017
1...,41,42,43,44,45,46,47,48,49,50 52,53,54,55,56,57,58,59,60,61,...116
Powered by FlippingBook