CONTROLLER Magazin 2/2017 - page 50

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bieten. Grundsätzlich arbeiten wir intensiv dar-
an, Leerlaufzeiten zwischen den verschiedenen
arbeitsmarktpolitischen Förderungen zu mini-
mieren. Denn – und das gilt für inländische Ar-
beitnehmer genauso wie für eingewanderte –
jede Phase des Nichtstuns ist schädlich und po-
tenziell der Integration abträglich. Wir kombinie-
ren deshalb Kurse des BAMF mit beruflicher
Qualifizierung und bieten auch noch nach der
Integration in Arbeit weitere Qualifizierungen an.
Das klingt einfach, ist aber vor Ort eine nicht un-
erhebliche logistische Aufgabe, bei der auch ein
professionelles, die Prozesse begleitendes Con-
trolling unerlässlich ist.
Biel:
Brauchen wir auch mehr Kreativität? Bei-
spielsweise versucht ein hessischer Landkreis,
unter den Flüchtlingen Ärzte zu rekrutieren und
zu fördern mit dem Ziel, die ärztliche Versor-
gung auf dem Lande zu optimieren. Müssen wir
neue Ideen intensiver fördern?
Weise:
Das Vorgehen des Landkreises ist ziel-
gerichtet und sinnvoll, kreativ ist es in meinen
Augen nur bedingt. Gerade bei
Fachkräfte-
engpässen
müssen wir gezielt die vorhande-
nen Potenziale analysieren, von der mitgebrach-
ten Qualifikation ausgehen und den Menschen
dann die passende Beschäftigung anbieten
oder noch fehlende Qualifikationen vermitteln,
damit eine möglichst qualifizierte Tätigkeit auf-
genommen werden kann.
Biel:
Können Sie uns auch ein Beispiel aus der
Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit geben?
Weise:
Nichts anderes machen wir auch in der
BA.
Wir sind schon in den Ankunftszentren
präsent
und versuchen, zunächst einmal mit
Fragebögen und in Zusammenarbeit mit den
Mitarbeitern des Bundesamtes, Geflüchtete mit
gefragten Qualifikationen und/oder Sprach-
kenntnissen zu identifizieren. Auch hier geht es
darum, die Prozesse so zu gestalten, das mög-
lichst wenige Zeiten mit Leerlauf entstehen.
Biel:
Es gibt verschiedene Angebote zur beruf-
lichen Integration, auch aus Ihrem Haus, z. B.
zur beruflichen Weiterbildung oder zur Exis-
tenzgründung und Selbstständigkeit. Können
Sie uns bereits Erfahrungen berichten? Wie
werden diese Angebote angenommen, was be-
wirken Sie?
Weise:
Ja, niemand muss heute befürchten,
dass ihm ein Flüchtling demnächst die Arbeit
wegnehmen wird. Das ist absolut irrational.
Biel:
Können auch Sie bzw. Ihr Haus besser
werden bei der Meisterung dieser Aufgabe?
Weise:
Natürlich! Ich bin überzeugt, dass es Be-
hörden als öffentlichen Dienstleistern nicht an-
ders geht als Unternehmen. Wenn wir aufhören
uns zu hinterfragen, neue anspruchsvolle Ziele
zu entwickeln und uns ständig mit den Besten zu
vergleichen, laufen wir zu Recht Gefahr, dass
man uns und unsere Existenzberechtigung hin-
terfragt.
Denken Sie nur an die frühere Bun-
desanstalt für Arbeit in 2002
oder die Perfor-
mance des BAMF vor einem Jahr und die daraus
resultierenden Diskussionen. Betriebe in der Pri-
vatwirtschaft bekommen diese Rückmeldung
nur deutlich schneller und härter über ihren
Markt. Unsere Aufgabe ist gesellschaftlich viel
zu wichtig, als dass wir uns jemals zurücklehnen
oder selbstzufrieden sein dürften.
Biel:
Was bedeutet diese ambitionierte Haltung
für unser Thema?
Weise:
Bezogen auf die aktuelle Herausforde-
rung
entwickeln wir zum Beispiel ganz neue
Verfahren, um beruflich verwertbare Kom-
petenzen erkennen zu können
, auch wenn
der Arbeitsuchende noch gar kein Deutsch
spricht. Das muss er natürlich auch noch ler-
nen, wenn er in der Arbeitswelt bestehen soll.
Aber wir können parallel zur Sprachförderung
schon passende berufliche Qualifizierung an-
len gedeckt. Zunächst einmal gibt es definitiv
keinen Verteilungskampf, wenn es um unsere
Betreuung oder Förderung geht. Wir haben für
die zusätzliche Aufgabe in den Agenturen und
Jobcentern vom Gesetzgeber auch zusätzliches
Personal und zusätzliche Mittel bekommen.
Kein inländischer Arbeitsuchender muss
also befürchten, schlechter betreut zu wer-
den
oder eine Weiterbildung nicht zu bekom-
men, weil wir den hierher geflüchteten Men-
schen Beratung und passende Qualifizierungs-
maßnahmen anbieten.
Biel:
Lassen Sie bitte nachfragen: Wie bewer-
ten Sie unter diesem Aspekt den Arbeitsmarkt?
Weise:
Auch auf dem Arbeitsmarkt wird es
nach unseren Prognosen kaum Verdrängung
geben.
Der Markt präsentiert sich dyna-
misch und aufnahmefähig
und wir dürfen
nicht vergessen, dass ein Teil der Geflüchteten
zunächst noch Zeit für den Aufbau von Sprach-
kenntnissen, Qualifizierungen oder Teilqualifi-
zierungen braucht, bevor sie in Beschäftigung
gehen werden. Allenfalls in einigen wenigen
Branchen, die viele Geringqualifizierte und viele
Migranten beschäftigen, könnte es in den kom-
menden Jahren zu einem Wettbewerb zwi-
schen arbeitssuchenden Migranten, die schon
länger im Land sind und Arbeitnehmern mit
Fluchthintergrund kommen.
Biel:
Die in einschlägigen Veröffentlichungen
und Studien beschriebenen Befürchtungen sind
unbegründet?
Autoren
Dr. rer. pol. h.c. Frank-Jürgen Weise
ist Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit (BA).
E-Mail:
Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien.
Betriebswirtschaftlicher und journalistischer Abschluss. Reich-
haltige praktische Erfahrungen aus verantwortlichen Tätigkei-
ten in Rechnungswesen und Controlling, Projekt- und Metho-
denarbeit. Ehrenmitglied des Deutschen Fachjournalisten Ver-
bandes DFJV und des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
Interview zum Thema: Berufliche Integration von Flüchtlingen
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