CONTROLLER Magazin 2/2017 - page 48

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ren, sind voll besetzt, unsere Angebote werden
rege in Anspruch genommen. Differenzierter
sieht es bei den Qualifikationen und Sprach-
kenntnissen aus. Hier beruhen die vorliegenden
Erkenntnisse auf Erhebungen des Bundesam-
tes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dem-
nächst wird unser Forschungsinstitut IAB ge-
meinsam mit Fachleuten des BAMF eine um-
fassendere Analyse vorlegen. Wir wissen aber
schon jetzt, dass es je nach Herkunftsland und
zum Teil auch je nach Region große Unterschie-
de in den mitgebrachten Qualifikationen gibt.
Je länger ein Land vom Krieg zerrüttet wird,
desto niedriger sind der durchschnittliche Bil-
dungsstand und die Sprachkenntnisse der
Menschen, die von dort zu uns kommen.
Biel:
Was bedeutet dies für den beruflichen
Einsatz der meisten Flüchtlinge?
Weise:
Zur beruflichen Qualifikation kann man
im Moment sagen,
dass für rund 60% der
Geflüchteten aus den Haupt-Asylher-
kunftsländern zunächst nur eine Tätigkeit
auf Helferniveau in Frage kommt.
Das liegt
an häufig nicht vorhandenen formalen Bil-
dungsabschlüssen nach deutschem Standard
und mangelnden Sprachkenntnissen. Viele be-
herrschen die englische Sprache, Deutsch al-
lerdings kaum jemand. Und damit ist die Spra-
che, insbesondere die Schriftsprache, zunächst
einmal das größte Integrationshindernis.
Biel:
Die Bearbeitung der Asylanträge führte
vielfach zu Diskussionen.
Weise:
Also,
wir arbeiten im BAMF mit
Hochdruck daran, den Menschen schnell
Klarheit zu verschaffen
, ob sie bei uns blei-
ben können oder nicht. Dann muss schnell der
Integrationskurs beginnen.
Mittlerweile sind
wir in beiden Kategorien deutlich besser
geworden und können diese Entwicklung
im Controlling des BAMF genau beobach-
ten.
Ein neu eingehender Asylantrag wird mitt-
lerweile in durchschnittlich rund 2,1 Monaten
entschieden, das ist ein Spitzenwert unter den
Ländern Europas. Dann gehen die Erwerbsfähi-
gen unter den Geflüchteten in die Betreuung
der Jobcenter über.
Biel:
Können wir Ihrer Antwort entnehmen,
nicht alle Flüchtige werden erwerbsfähig sein?
Biel:
Qualifikation und „Nutzen“ einerseits und
humanitärer Schutz andererseits sind unter-
schiedliche Aspekte. Wie können wir sie ein-
ordnen und zusammenbringen?
Weise:
In dieser Situation fragen wir als
Gesellschaft nicht primär nach Verwertbar-
keit von Qualifikationen
, zunächst einmal
geht es um das Gewähren von Schutz. Wer
aber hier bleiben darf und will, dem wollen wir
auch die Eingliederung in Beschäftigung er-
möglichen. Und zum Glück haben wir momen-
tan einen sehr aufnahmefähigen Arbeitsmarkt
mit fast 700.000 offenen Stellen. Darunter sind
auch viele Stellen, in denen eine rasche Inte-
gration von Geflüchteten möglich scheint, zum
Beispiel in der Logistik oder in der Gastronomie.
Biel:
Dies führt uns zu der Frage, welche
Kenntnisse haben Sie über die berufliche Struk-
tur der Flüchtlinge?
Weise:
Die Gruppe der Geflüchteten ist aller-
dings auch sehr unterschiedlich zusammenge-
setzt. Wir haben Experten wie Ärzte oder Inge-
nieure ebenso darunter wie Ungelernte. Zum
Teil lernen wir auch noch nicht alphabetisierte
Menschen aus Regionen kennen, die schon
sehr lange unter einem schrecklichen Bürger-
krieg leiden. Jeder hat eine individuell unter-
schiedliche Nähe zum Arbeitsmarkt. Englisch-
sprachige Spezialisten aus Branchen, in denen
Englisch als Fachsprache anerkannt ist, können
wir schnell integrieren. Bei den meisten geht es
aber
zunächst darum, unsere Sprache in
Wort und insbesondere in Schrift zu lernen
,
bevor wir mit beruflichen Qualifizierungsmaß-
nahmen oder Lohnkostenzuschüssen den Ein-
stieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen.
Biel:
Neben der Frage der Aufnahmefähigkeit
des Arbeitsmarktes kommt es – Sie haben
es angeschnitten – auf der Seite der arbeits-
suchenden Migranten insbesondere auf das
Sprachniveau, die berufliche Qualifikation und
Motivation usw. an. Können Sie uns hierzu eine
grobe Einschätzung geben?
Weise:
Zunächst einmal zeigen vielfältige Er-
fahrungen der Jobcenter und Arbeitsagentu-
ren,
dass die Motivation der Geflüchteten
sehr hoch ist
. Gruppenveranstaltungen, in de-
nen wir über Wege in Beschäftigung informie-
nach fünf Jahren etwas über 50% der Mig-
ranten die berufliche Integration geschafft
haben.
Glauben Sie, dass dieser Orientie-
rungswert auch weiterhin Bestand haben wird?
Worauf müssen wir uns einrichten?
Weise:
Und nach weiteren 10 Jahren ist kaum
noch ein Unterschied in den Beschäftigungs-
quoten von Inländern und Migrierten zu erwar-
ten. Die von Ihnen angesprochenen Prozent-
zahlen ergeben sich aus der wissenschaftlichen
Betrachtung vergangener Migrationsbewegun-
gen. Die aktuelle Fluchtmigration ist in der
Struktur der Geflüchteten und in den gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen sicher nur bedingt vergleichbar.
Aber diese Werte geben uns eine Richtung vor
und sie definieren einen Erwartungshorizont,
Oder, wenn Sie so wollen,
einen Benchmark
.
Und damit haben wir ein Ziel: besser als die
Prognose zu sein
und arbeitsfähige Flücht-
linge schneller in Arbeit zu bringen als es die
Zahlen erwarten lassen.
Biel:
Ihre Antwort zeigt, dass der Zugang zum
Arbeitsmarkt für Migranten nicht leicht ist. Wie
beurteilen Sie generell die Aufnahmefähigkeit
des Arbeitsmarkts? Welche Chancen kann der
Arbeitsmarkt Migranten überhaupt bieten? Wer
und was ist vermittelbar?
Weise:
Mir ist zunächst eines sehr wichtig: Asyl
ist ein humanitäres Recht, das im Grundgesetz,
also wenn Sie so wollen in
der DNA unserer
Gesellschaft verankert ist
, und das ich zu-
tiefst respektiere. Die Fluchtmigration ist des-
halb nicht mit der gesteuerten Einwanderung
ausländischer Fachkräfte vergleichbar.
Biel:
Eine
„gesteuerte Einwanderung“
, die
Sie ansprechen – brauchen wir sie trotz der
nennenswerten Aufnahme von Flüchtlingen?
Weise:
So überraschend es für manche ange-
sichts der Diskussionen der letzten Monate ist:
Die letztere
Form der Zuwanderung brau-
chen wir in Deutschland auch weiterhin
,
damit unsere leistungsfähige Wirtschaft erfolg-
reich sein kann. Die zu uns geflüchteten Men-
schen kommen jedoch in erster Linie, weil sie
sich nach der Flucht vor Folter, Tod und Verfol-
gung bei uns Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit
erhoffen.
Interview zum Thema: Berufliche Integration von Flüchtlingen
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