CONTROLLER Magazin 2/2017 - page 49

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Weise:
Zuallererst müssen doch
sprachliche
Grundlagen
erlernt und Kompetenzen wie
Qualifikationen
erkannt und ausgebaut wer-
den, dazu kommt die Klärung vieler
recht-
licher Fragen
. Sprache ist unerlässlich, wenn
Sie sich zum Beispiel die Sicherheits-, Hygie-
ne- oder Unfallverhütungsvorschriften in den
Betrieben vergegenwärtigen. Jeder Beschäf-
tigte muss die verstehen – oder er kann nicht
mitarbeiten.
Biel:
Gibt es nicht auch rechtliche und organi-
satorische Hürden in den Unternehmen?
Weise:
Natürlich gibt es diese. Wir sollten in der
Diskussion auch nicht vergessen, dass viele
Großunternehmen Einstellungen zum Beispiel
mit ihren Konzernbetriebsräten abstimmen
müssen und diese eine direkte Einstellung
durchaus kritisch sehen können, wenn bei-
spielsweise regelmäßig Zeitarbeit in der Pro-
duktion eingesetzt wird.
Biel:
Gehen unsere Erwartungen angesichts
der bisherigen noch relativ knappen Zeitspan-
ne der Integrationsbemühungen zu weit? Müs-
sen wir in größeren Zeiträumen denken?
Weise:
Momentan geht es in vielen Fällen so-
wieso
noch eher um eine Vorstufe der In-
tegration.
In der Phase der Integrationsvor-
bereitung – und um geflüchteten Menschen
Orientierung und Ziele zu geben, – brauchen
wir zum Beispiel betriebliche Praktikumsplät-
ze, die sie an die betriebliche Wirklichkeit he-
ranführen, darüber hinaus Einstiegsqualifika-
tionen, die auf eine Ausbildung vorbereiten.
Hier engagieren sich schon jetzt viele Arbeit-
geber sehr. Insbesondere die Großunterneh-
men sind offen und ich schätze diese Part-
nerschaften.
Biel:
Globalisierung und Digitalisierung wirken
sich verstärkt auf dem Arbeitsmarkt aus und
verdrängen möglicherweise vermehrt Stellen
mit geringen Qualifikationsanforderungen. Was
bedeutet dies für die Migranten: Werden da-
durch ihre Chancen noch schlechter oder gibt
es gar einen „Verteilungskampf“ mit deutschen
Arbeitnehmern bzw. Bewerbern?
Weise:
Ich mag das düstere Bild nicht und es
wird auch nicht durch die mir vorliegenden Zah-
Weise:
Allerdings haben die von Ihnen ange-
sprochenen negativen Erscheinungen in mei-
nen Augen stark damit zu tun, dass die
Warte-
zeiten im Asylverfahren
, während derer die
Antragsteller faktisch zum Nichtstun verdammt
sind, unerträglich lang waren. Dieses Nichtstun
hat schlimme Wirkungen auf die größtenteils
jungen Menschen, die hierhergekommen sind.
Die Geflüchteten brauchen und verdienen
schnell Klarheit, ob sie im Land bleiben können
oder nicht. Um das zu gewährleisten, haben wir
im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die
Prozesse neu organisiert, neues Personal ein-
gestellt und qualifiziert, die IT ertüchtigt und
das Controlling professionalisiert.
Biel:
Herr Weise, Sie haben sich als „gestalten-
der Controller“ einen guten Namen erworben.
Hilft Ihnen diese Kompetenz bei der Bewältigung
der beruflichen Integration von Flüchtlingen?
Weise:
Controlling-Kompetenz ist nach
meinen Erfahrungen immer hilfreich
, wie
wir auch bei dieser Aufgabenstellung sehen.
Konkretes Beispiel: Zielklarheit und Transpa-
renz in den Abläufen ebenso wie den Ergebnis-
sen sind auch hier unerlässliche Elemente mo-
derner Unternehmenssteuerung, wie wir sie
auch in der Bundesagentur betreiben.
Im Öf-
fentlichen Dienst sind Controlling und Steu-
erung unverzichtbar und kommen am Ende
den Bürgern zugute.
Biel:
Zum Zeitpunkt der Vorbereitung auf die-
ses Interview hatten die DAX-Unternehmen den
Meldungen nach Migranten nur im niedrigen
dreistelligen Bereich beschäftigt. Warum sind
die Chancen in den Großunternehmen gegen-
wärtig offenbar nicht so gut? Ist das Potenzial
und auch die Bereitschaft, Flüchtlinge einzu-
stellen, im Mittelstand ungleich höher als bei
den Großunternehmen?
Weise:
Die Bereitschaft der Unternehmen
ist durchaus hoch.
Das zeigen auch die vielen
verschiedenen Initiativen, in denen sich Unter-
nehmen aller Branchen und Größen engagie-
ren. Dass sich das momentan noch nicht voll in
Einstellungszahlen niederschlägt, können wir
meiner Meinung nach nicht verurteilen.
Biel:
Müssen also noch Voraussetzungen und
Bedingungen erfüllt werden?
Weise:
Natürlich gibt es auch unter den ge-
flüchteten Menschen welche, die im strengen
Sinne nicht erwerbsfähig sind – sei es aus ge-
sundheitlichen Gründen oder weil sie noch zu
jung oder schon zu alt sind, um dem Arbeits-
oder Ausbildungsmarkt zur Verfügung zu ste-
hen. Das ist genauso wie bei Inländern auch.
Biel:
Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang
auch ein sensibles Thema aufgreifen, das aber in
der Praxis offenbar von wesentlicher Bedeutung
ist, wie die Gespräche im Rahmen der Vorberei-
tung auf dieses Interview zeigten. Es wurden viel-
fältige negative Erfahrungen berichtet. Daraus er-
gibt sich für die Migranten die Herausforderung
des
Hineinwachsens in die Wertvorstellungen
und die Normen der Gesellschaft. Und aus
der Perspektive der Unternehmen die Not-
wendigkeit der interkulturellen Öffnung.
Was
beobachten Sie? Welche Aufgaben sehen Sie?
Weise:
Sie haben ja die wesentlichen Punkte be-
reits angesprochen. Es ergeben sich Aufgaben für
viele Gruppen und alle gesellschaftlichen Kräfte.
Aber ich will auch sagen, dass das Engagement
der Gesellschaft bereits jetzt beeindruckend ist.
Ohne die vielen ehrenamtlichen Initiativen, ohne
die Hilfe vieler staatlicher Stellen wie beispielswei-
se der Bundeswehr oder von Mitarbeitern der BA,
die im BAMF unterstützt haben, hätten wir diese
Migrationsbewegung nicht so gut bewältigt. Für
die nächsten Schritte braucht es weiterhin von al-
len viel guten Willen und eine Bereitschaft, Chan-
cen zu geben. Wir wollen lieber diese Herausfor-
derungen als Aufgaben – zum Beispiel an Arbeit-
geber – verteilen.
Wir besprechen, wie wir mit
einer guten Vorbereitung der Menschen, mit
Praktika im Betrieb und einer sinnvollen Ein-
arbeitung eine Win-win-Situation für alle
schaffen.
Dann profitieren am Ende alle und die
Integration ist deutlich nachhaltiger.
Biel:
Und was erwarten Sie von den Flüchtlingen?
Weise:
Klar ist, dass Menschen, die zu uns auf
der Suche nach Rechtsstaatlichkeit fliehen,
un-
sere rechtlichen Normen und gesellschaft-
lichen Werte
auch anerkennen müssen. Daran
darf unser Staat keinen Zweifel lassen.
Biel:
Gibt es spezifische Gründe für bestimmte
negativen Erfahrungen, die hier und da ge-
macht werden.
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