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          Menschen“ legen wir dar, dass die konkreten
        
        
          Leistungen von Marken die Emotionen sind –
        
        
          Emotionen sind nichts Aufgesetztes, neben der
        
        
          Leistung Stehendes. Der wärmende, gut sitzen-
        
        
          de Pullover löst die Emotion des Wohlseins aus.
        
        
          Oder die einen Prozess einfacher machende
        
        
          Softwarelösung die Zufriedenheit beim Nutzer.
        
        
          Biel:
        
        
          Ihre Antworten lassen tiefer fragen: Ist
        
        
          eine Marke einerseits ein Kennzeichen oder
        
        
          Erkennungszeichen für den Verbraucher und
        
        
          damit Ausdruck bestimmter Erwartungen?
        
        
          Und steht andererseits hinter einer Marke
        
        
          auch ein tatsächlich eingehaltenes
        
        
          Leis-
        
        
          tungsversprechen?
        
        
          Stimmen Erwartungen
        
        
          immer mit dem überein, was geleistet oder ge-
        
        
          liefert wird? Oder müssen wir von einer Erwar-
        
        
          tungslücke sprechen?
        
        
          Harder:
        
        
          In unserer Beratungspraxis beobach-
        
        
          ten wir oft die von Ihnen angesprochene
        
        
          Er-
        
        
          wartungslücke
        
        
          . Die Erwartungslücke ist nach
        
        
          unserer Einschätzung Resultat eines weitver-
        
        
          breiteten Missverständnisses – wir nennen es
        
        
          das
        
        
          Marken-Missverständnis:
        
        
          Man meint,
        
        
          Marke
        
        
          „außen“
        
        
          durch Logo, Corporate Design
        
        
          und Werbung kreieren zu können, während
        
        
          man
        
        
          „innen“
        
        
          bei den Leistungen spart oder ei-
        
        
          ner davon losgelösten Logik folgt. Leistungs-
        
        
          versprechen und tatsächliche Leistung klaffen
        
        
          in der Folge auseinander.
        
        
          Biel:
        
        
          Haben Sie plakative Beispiele für die von
        
        
          Ihnen skizzierte Trennung von Markenbild und
        
        
          tatsächlicher Leistung bzw. vom Unterschied
        
        
          „außen“ und „innen“ einer Marke?
        
        
          Wüthrich:
        
        
          Beispiele lassen sich sowohl im
        
        
          großen wie kleinen Wirtschaftsgeschehen
        
        
          finden. Im Großen ist die
        
        
          Deep Water Hori-
        
        
          zon-Katastrophe von BP
        
        
          stellvertretend. In
        
        
          Werbung, Auftritt und Kommunikation stellte
        
        
          sich BP nach außen als besonders der Um-
        
        
          welt verpflichteter Konzern dar. Im Zug der
        
        
          Deep Water Horizon-Untersuchung stellt sich
        
        
          dann heraus, dass Umweltstandards syste-
        
        
          matisch missachtet werden und BP einseitig
        
        
          dem Kostensparen und nicht der Umwelt
        
        
          Priorität einräumte. Im Kleinen ist es heute
        
        
          beispielsweise bei vielen Konditoreien üblich,
        
        
          dass sie fertige Produkte einkaufen und diese
        
        
          ausdrücklich oder unausgesprochen als Ei-
        
        
          genprodukte ausgeben.
        
        
          Biel:
        
        
          Die
        
        
          Testergebnisse
        
        
          von Markenpro-
        
        
          dukten, etwa der Stiftung Warentest in Berlin,
        
        
          fallen durchaus unterschiedlich aus, wobei es
        
        
          auch Marken gibt, die ihr Versprechen halten.
        
        
          Insofern haben wir es offenbar schon mit einer
        
        
          „Markenproblematik“ zu tun. Was sind nun
        
        
          die Konsequenzen dieses „Marken-Missver-
        
        
          ständnisses“, wie Sie das Problem nennen?
        
        
          Und zwar sowohl für Kunden als auch für Un-
        
        
          ternehmen?
        
        
          Wüthrich:
        
        
          Das Marken-Missverständnis hat
        
        
          weitreichende Konsequenzen. Man vertraut
        
        
          den sogenannten Markenunternehmen und da-
        
        
          mit Marken nicht mehr richtig. Davon zeugen
        
        
          sinkende Vertrauenswerte der Unternehmen.
        
        
          Regelmäßige markenkritische Sendungen im
        
        
          Fernsehen, aber auch Internetforen dokumen-
        
        
          tieren problematisches Verhalten von Unter-
        
        
          nehmen. In letzter Konsequenz entzieht das
        
        
          Marken-Missverständnis einer Marke die
        
        
          Essenz.
        
        
          Derartige Marken sind nur noch
        
        
          Hüllen
        
        
          ohne tieferes Vertrauen
        
        
          und damit
        
        
          gar keine echten Marken mehr.
        
        
          
            Ganzheitlich-präzise
          
        
        
          
            Markenführung als neuer Ansatz
          
        
        
          Biel:
        
        
          Wir haben mögliche Gründe der Marken-
        
        
          problematik besprochen. Brauchen wir eine an-
        
        
          dere, eine ganzheitliche Marken-Betrachtung?
        
        
          Muss es nicht ein „ganzheitliches Markenver-
        
        
          ständnis“ geben? Schließlich nimmt ein Kunde
        
        
          vielfach „das ganze Unternehmen“ wahr. Bei-
        
        
          spielsweise bei Serviceleistungen, selbst die
        
        
          Rechnungsstellung kann u. U. eine Botschaft
        
        
          des Unternehmens vermitteln?
        
        
          Harder:
        
        
          Ja, richtig. Aufbau und Führen einer
        
        
          Marke können nur mit einem
        
        
          ganzheitlichen
        
        
          Ansatz
        
        
          gelingen – denn alles macht Marke. Der
        
        
          zentrale Grund liegt in der feinen Wahrneh-
        
        
          mungsfähigkeit der Menschen.
        
        
          Menschen kön-
        
        
          nen Qualität und Dynamik eines Unterneh-
        
        
          mens „lesen“
        
        
          , bei dem sie bereits Kunde sind
        
        
          oder für das sie sich interessieren. Denn beim
        
        
          aufmerksamen Verfolgen erschließt sich auch an
        
        
          der Oberfläche der Gesamtzustand eines Unter-
        
        
          nehmens: Ob die Forschungs- und Entwick-
        
        
          lungsabteilung zielgerichtet arbeitet, ob die Qua-
        
        
          litätskontrolle funktioniert, ob die Prozesse effizi-
        
        
          ent, die richtigen Kompetenzen vorhanden sind.
        
        
          Biel:
        
        
          Wozu führt aus Ihrer Sicht die „feine
        
        
          Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen“?
        
        
          Harder:
        
        
          Die
        
        
          feine Wahrnehmungsfähigkeit
        
        
          der Menschen zeitigt noch eine andere Kon-
        
        
          sequenz: Die Kundschaft weiß genau, wieso
        
        
          sie sich immer wieder dem gleichen Anbieter
        
        
          zuwendet – einem bestimmten Confiseur (Be-
        
        
          rufsbezeichnung insbesondere in der Schweiz
        
        
          für Hersteller von Pralinen, Teegebäck usw.),
        
        
          dem Vertrauensarzt, dem einen Lieferanten,
        
        
          jener Auto- oder Kleidermarke. Mit anderen
        
        
          Worten
        
        
          verfügen starke Marken über eine
        
        
          Erfolgslogik
        
        
          , die sehr konkret und präzise ist.
        
        
          Diese Erfolgslogik genau zu erfassen und das
        
        
          ganze unternehmerische Handeln auf deren
        
        
          Realisierung und Weiterentwicklung auszu-
        
        
          richten nennen wir
        
        
          ganzheitlich-präzise
        
        
          Markenführung
        
        
          .
        
        
          Biel:
        
        
          Bitte veranschaulichen und konkretisieren
        
        
          Sie uns diesen Ansatz der ganzheitlich-präzisen
        
        
          Markenführung.
        
        
          Wüthrich:
        
        
          Gerne. Lassen wir uns dafür vom
        
        
          Beispiel der Uhrenmarke Breitling leiten. Diese
        
        
          Marke hat sich einen prominenten Platz unter
        
        
          den Uhrenherstellern erarbeitet, weil sie spezi-
        
        
          fische, differenzierende Dimensionen in höchs-
        
        
          ter Konsequenz verfolgt hat. Lassen Sie mich
        
        
          zwei Dimensionen beleuchten:
        
        
          ·
        
        
          Die Dimension
        
        
          Instrumente für Piloten
        
        
          , in-
        
        
          dem ihre Uhren von Stop- über Rechenschie-
        
        
          ber- bis zu Notrufsignalfunktionen mögliche
        
        
          Ansprüche von Piloten erfüllen, indem sie
        
        
          sich mittels eigener Flugshows, der einzigen
        
        
          privaten Jetflugstaffel oder der ersten Welt-
        
        
          umrundung per Ballon außerordentlich in der
        
        
          Aviatik engagieren.
        
        
          ·
        
        
          Die Dimension
        
        
          hohe Verlässlichkeit und
        
        
          Eigenständigkeit
        
        
          , indem ausnahmslos je-
        
        
          des Modell den anspruchsvollen Zertifikati-
        
        
          onsprozess der offiziellen schweizerischen
        
        
          Chronometerkontrolle (COSC) bestehen
        
        
          muss, indem ein weltweites Reparatur- und
        
        
          Servicenetz betrieben wird, indem das Un-
        
        
          ternehmen viele Millionen in ein Werk für
        
        
          die Herstellung eigener Hochleistungswerke
        
        
          investiert hat.
        
        
          Die Liste liese sich für Breitling verlängern und
        
        
          kann in gleicher Weise für ein Dienstleistungs-
        
        
          unternehmen wie eine profilierte Bank oder
        
        
          
            CM Mai / Juni 2017