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geber aus dem Westen ist es oft erstaunlich,
welch simple Anreize genügen, um Chinesen
zu einem Stellenwechsel zu bewegen.
Doch nicht nur finanzielle Motive und Status-
gründe veranlassen Chinesen zu einem Job-
wechsel. Sie wechseln oft auch den Arbeitge-
ber, wenn
·
sie wenig Aufstiegschancen sehen,
·
ihre berufliche Laufbahn nicht ihren
Idealvorstellungen entspricht,
·
monotone Arbeitsabläufe und -inhalte
sie demotivieren,
·
sie glauben, ihre direkten Kollegen seien
nicht ausreichend qualifiziert,
·
sie ihrem Arbeitgeber oder Vorgesetzten
misstrauen,
·
ihr unmittelbarer Vorgesetzter geht,
·
die Firma in einer finanziellen Krise oder
Imagekrise steckt,
·
ein befristeter Arbeitsvertrag sie
verunsichert.
Streben nach beruflichem
und sozialem Aufstieg
Die chinesische Wirtschaft hat seit Maos Tod
und seit Deng Xiaoping Parteivorsitzender wur-
de, also in den letzten 25 Jahren, einen phan-
tastischen Aufschwung erlebt und zahlreiche
Super-Reiche hervorgebracht. Das sehen und
erleben die Chinesen insbesondere in den Wirt-
schaftsmetropolen tagtäglich. Deshalb sind –
verallgemeinert formuliert – viele gut qualifi-
zierte Chinesen heute latent unzufrieden mit ih-
rer finanziellen und sozialen Situation. Denn sie
haben das Gefühl,
am Wirtschaftsboom und
gesellschaftlichen Aufschwung nicht aus-
reichend teilzuhaben.
Also streben sie da-
nach, ihre Perspektiven zu verbessern – finan-
ziell und sozial. Deshalb genügen einfache und
schnelle Lösungen in Form von Lohnerhöhun-
gen und Boni allein meist nicht, um chinesische
Mitarbeiter an Unternehmen zu binden.
Wichtig ist es ihnen, eine Entwicklungspers-
pektive aufzuzeigen – zum Beispiel durch Qua-
lifizierungs- und Personalentwicklungsmaß-
nahmen. Bei deren Konzeption gilt es jedoch ei-
nige Spezifika zu beachten – zum Beispiel:
·
die hohen Erwartungen und Ziele vieler
gut qualifizierter Chinesen bezüglich des
Verlaufs ihrer Karriere,
·
ihren Wissensdurst,
·
ihren großen Ehrgeiz, ihre Potenziale und
Chancen voll auszuschöpfen – auch um i
n ihrem Umfeld das „Gesicht zu wahren“,
·
ihren Wunsch nach einer exponierten
sozialen Stellung und
·
die hohe Bedeutung der persönlichen Bezie-
hungen für das Arbeitgeber- und Arbeitneh-
merverhältnis (Guanxi = emotionale Verbin-
dung und persönliche Beziehung).
Deshalb kann man Personalentwicklungs- und
Mitarbeiterbindungssysteme aus Europa nicht
1 zu 1 auf China übertragen.
Sie müssen eine
kulturspezifische Ausgestaltung erfahren.
Elemente eines solchen lokal anschlussfähigen
Personalentwicklungs- und Mitarbeiterbin-
dungssystems sollten unter anderem sein:
Auf junge Talente setzen
Die meisten Berufstätigen über 40 in China
sprechen schlecht Englisch. Das erschwert die
Kommunikation und Zusammenarbeit mit ihnen
(in multinationalen Teams). Deshalb bevorzu-
gen ausländische Arbeitgeber beim Besetzen
von Schlüsselpositionen meist jüngere Talente
im Alter von maximal 30 Jahren. In China ist
eine junge Belegschaft kein Nachteil.
Denn die
aufstrebenden Jungen sind sehr ehrgeizig,
und ihr Lernwille ist stark ausgeprägt.
Und
bietet ihnen ein Arbeitgeber die gewünschten
Perspektiven, dann binden sie sich auch emo-
tional an ihn.
Entwicklung fördern – auch in Übersee
Eine systematische, aufstiegsorientierte Per-
sonalentwicklung – statt nur punktuelle, am
akuten Bedarf orientierte Förderung – bildet
oft die Basis, dass sich chinesische Mitarbei-
ter im Betrieb wohl fühlen und mit ihrer Tätig-
keit zufrieden sind. Die Qualifizierungs- und
Fördermaßnahmen müssen jedoch anders
konzipiert sein als in Europa. Denn junge Chi-
nesen ohne Auslandserfahrung sind daran ge-
wöhnt, Instruktionen zu erhalten. Eher schwer
fällt es ihnen,
Problemlösungen eigenstän-
dig oder in Arbeitsgruppen zu erarbeiten.
Als besondere Auszeichnung erleben sie die
Teilnahme an Förder- und Entwicklungsmaß-
nahmen in Übersee, also zum Beispiel in Euro-
pa. Denn hierin wird oft das Sprungbrett für
eine internationale Karriere beziehungsweise
die Eintrittskarte für eine gehobene Manage-
mentfunktion gesehen.
Fördern Unternehmen Mitarbeiter auf diese
Weise, entsteht meist eine enge Bindung an die
Organisation. Denn Konfuzius’ Philosophie, Ge-
fälligkeiten stets zu erwidern, („zhi en tu bao“
auf Chinesisch) wird in China seit Jahrtausen-
den gelebt und ist ein integraler Bestandteil der
Kultur. Deshalb sind Chinesen in der Regel
auch loyal zu ihrem Arbeitgeber, wenn sie spü-
ren, dass dieser sich ernsthaft darum bemüht,
sie beruflich zu fördern und zu entwickeln.
Realistische Perspektiven aufzeigen
Ein Hauptgrund, warum ehrgeizige, junge Ta-
lente ihren Arbeitsplatz wechseln, ist das Ge-
fühl, ihre Karriere schreite zu langsam voran.
Chinesen erwarten speziell von ausländischen
Arbeitgebern
eine qualifizierte Einarbeitung
und Ausbildung.
Denn ausländische Firmen
haben den Ruf, ihre Arbeitnehmer stärker zu
fördern und schneller zu befördern als chinesi-
sche Betriebe. Und dies ist für junge Chinesen
oft ein zentrales Motiv, sich für einen ausländi-
schen Arbeitgeber zu entscheiden. Diese Er-
wartung gilt es zu erfüllen. Denn wenn Arbeit-
Autor
Sabine Machwürth
ist geschäftsführende Gesellschafterin der international agie-
renden Unternehmensberatung Machwürth Team International
(MTI Consultancy), Visselhövede (D), für die weltweit 450
Berater, Trainer und Projektmanager tätig sind und die unter
anderem Niederlassungen in China hat.
E-Mail:
Tel: 04262 / 9312-0
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