CONTROLLER Magazin 2/2015 - page 32

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Biel:
Aus einer anderen Perspektive gefragt: An
welchen Stellen im Unternehmen bedarf es
welcher Innovationen? Beispielsweise in den IT-
Strukturen oder auch bei der Qualifizierung von
Mitarbeitern.
Dr. Dauner:
IT-Strukturen sollten nicht mehr
separat oder als „Add-on“ gesehen werden,
sondern vielmehr als integrativer Bestandteil
des Fertigungsunternehmens und seiner Pro-
duktionssysteme. Gleiches gilt für die Anforde-
rungsprofile an die Mitarbeiter der Zukunft.
Die
Vernetzung von Menschen und Objekten
erfordert interdisziplinäre Kompetenzen
,
die mit den betroffenen Menschen entwickelt
werden müssen. Innovativ sollten deshalb auch
die entsprechenden Kompetenzentwicklungs-
programme sein.
Biel:
Wie könnte – in wenigen Stichworten –
die „Fabrik der Zukunft“ aussehen? Wieweit
wachsen reale und virtuelle Welt zusammen?
Dr. Dauner:
Mithilfe
horizontaler und vertika-
ler Integration von IT, Produktions- und Au-
tomatisierungstechnik
soll eine Fabrik ge-
schaffen werden, welche komplexe Systeme
beherrschen kann, wenig störanfällig ist und die
Effizienz in der Produktion steigert. Angetrieben
wird dieser Prozess durch Innovationen im Be-
reich IT, Embedded Systems und Maschinen-
bau, also Segmente, in denen Deutschland zu
den Marktführern gehört. Die Digitalisierung
und Vernetzung all dieser Elemente ermöglicht
virtuelle Planungen, die „Eins-zu-Eins“ in die
Realität umgesetzt werden können. Zudem wird
jedes Werkstück oder Produkt eine digitale Sig-
natur haben, die in der Produktentwicklung ge-
schaffen und über den gesamten Lebenszyklus
wie ein Fingerabdruck Bestand haben wird.
Biel:
Müssen wir so weit gehen, dass auch un-
ter dem Vorzeichen von „Industrie 4.0“ mögli-
cherweise bestehende Geschäftsmodelle oder
die Geschäftsstrategie infrage zu stellen sind?
Ist die „schöpferische Zerstörung“ gemäß
Schumpeter in diesem Fall zu hoch gegriffen?
Dr. Dauner:
Wenn von der 4. Industriellen Re-
volution gesprochen wird, kann man auch deren
gesellschaftspolitische Implikationen erörtern.
Ich denke, dass die Evolutionsökonomik aus-
reichend Ansätze dafür bereithält. Theorien
Schumpeters aber auch Kondratjews können
bei der Skizzierung zukünftiger Entwicklungen
hinzugezogen werden. Ich bin auch davon über-
zeugt,
dass erfolgreiche Unternehmen kon-
tinuierlich ihre Geschäftsmodelle oder ihre
Geschäftsstrategie hinterfragen sollten
.
Und dies nicht nur vor dem Hintergrund einer
Existenzkrise oder Technologierevolution her-
aus. Zuallererst sollten die Chancen gesehen
werden. Die Möglichkeiten und deren Qualität
der Datengewinnung und Auswertung steigen.
Biel:
Sehen Sie auch die Möglichkeit, dass die-
se Daten über die Optimierung der eigenen
Produktions- und Logistikprozesse hinaus ge-
nutzt werden können?
Dr. Dauner:
Dieser Überlegung stimme ich
gerne zu. Die Unternehmen sollten diese Daten
nicht nur zur Optimierung ihrer eigenen Produk-
tions- und Logistikprozesse nutzen. Denn es
können beispielsweise nachgelagerte Dienst-
leistungen auf Basis dieser Daten entwickelt
werden.
Biel:
Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?
Dr. Dauner:
Beispielsweise kann Mehrwert
durch eine Verlängerung der Produktlebenszy-
klen geschaffen werden, der durch Monitoring,
Diagnose und vorausschauende Instandhaltung
erreicht werden kann.
Biel:
Weil es so wichtig ist, lassen sie mich bit-
te an dieser Stelle noch einmal nachhaken: Bei
unseren Betrachtungen steht die Sicherung der
Wettbewerbsfähigkeit, der Wirtschaftlichkeit
und Produktivität im Fokus – und damit die öko-
nomischen Chancen, auch für unseren Wirt-
schaftsstandort. Aber eine derart weitreichende
Umwälzung wirkt sich in vielfacher Hinsicht
auch ökologisch und sozial aus und berührt die
Privatsphäre, die Datensicherheit usw., um eini-
ge Stichwörter zu nennen. Welche Risiken ge-
hen wir als Gesellschaft ein? Welchen Preis
müssen wir bezahlen? Können wir beispielswei-
se die steigende Komplexität noch beherrschen
und den Datenschutz gewährleisten?
Dr. Dauner:
Die Komplexität der Systeme
und der Anforderungsprofile an Mitarbeiter
wird steigen
, wie dies auch schon in der Ver-
gangenheit der Fall gewesen ist – wir reden
hier von einer Vision, einem Entwicklungspro-
zess, der seine Zeit brauchen wird, bevor er „in
der Mitte der (Industrie-) Gesellschaft“ ange-
kommen ist. Auf dem Weg dorthin müssen
möglichst alle Beteiligten abgeholt und mitge-
nommen werden.
Biel:
Sind aus Ihrer Sicht „auf diesem Weg
dorthin“ bestimmte Weichen zu stellen?
Dr. Dauner:
Um das notwendige Wissen recht-
zeitig vorhalten zu können, muss schon heute
ausgebildet werden. Mittel- bis langfristig wer-
den nahezu alle Stellen im Unternehmen von
diesem Wandel betroffen sein. Die Bereitschaft
im Unternehmen zum Nachqualifizieren und
dem
„lebenslangen Lernen“
muss geschärft
werden. Die Fähigkeit, den ständigen Technolo-
giefortschritt für die eigene Wettbewerbsfähig-
keit zu nutzen, wird immer wichtiger, denn die
Geschwindigkeit der Technologie-Evolution
nimmt zu.
Biel:
Welche Rolle kommt dabei dem Wissen
zu? Der große Management-Vordenker Peter F.
Drucker hat schon vor langer Zeit den Begriff
„Wissensarbeiter“ geprägt. Wissensarbeiter als
Mitarbeiter, die für die Anwendung ihres erwor-
benen Wissens entlohnt werden. Schlägt die
Stunde der Wissensarbeiter?
Dr. Dauner: Wissen ist in der Tat der zentra-
le Gedanke:
Wissen bei den Betroffenen (Ent-
scheidern und Anwendern in der Werkhalle),
was Industrie 4.0 jetzt und in Zukunft bedeutet –
und Wissen darüber, wie diese Systeme funktio-
nieren, erschaffen, bedient und gewartet wer-
den. Aber die Erkenntnisse aus vorhergegange-
nen Technologiesprüngen ermöglichen uns, dies
frühzeitig anzugehen. Aufklärung und Know-
how-Management sind die Wegbereiter einer
erfolgreichen Implementierung von Industrie
4.0. Es liegt in der Verantwortung, aber auch im
natürlichen Interesse der Unternehmen, dieses
Wissen unter ihren Mitarbeitern zu verbreiten.
Biel:
In welchem Umfange müssen wir mit
Kostensteigerungen rechnen z. B. für höhere
IT- und Sicherheitskosten?
Dr. Dauner:
Im Zuge der anstehenden Investi-
tionszyklen werden ohnehin moderne Produk-
tions- und Fertigungslösungen in den Werkhal-
Industrie 4.0 – eine neue Herausforderung: Interview mit Dr. Gerhard Dauner
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