30
          
        
        
          Biel:
        
        
          Aus einer anderen Perspektive gefragt: An
        
        
          welchen Stellen im Unternehmen bedarf es
        
        
          welcher Innovationen? Beispielsweise in den IT-
        
        
          Strukturen oder auch bei der Qualifizierung von
        
        
          Mitarbeitern.
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          IT-Strukturen sollten nicht mehr
        
        
          separat oder als „Add-on“ gesehen werden,
        
        
          sondern vielmehr als integrativer Bestandteil
        
        
          des Fertigungsunternehmens und seiner Pro-
        
        
          duktionssysteme. Gleiches gilt für die Anforde-
        
        
          rungsprofile an die Mitarbeiter der Zukunft.
        
        
          Die
        
        
          Vernetzung von Menschen und Objekten
        
        
          erfordert interdisziplinäre Kompetenzen
        
        
          ,
        
        
          die mit den betroffenen Menschen entwickelt
        
        
          werden müssen. Innovativ sollten deshalb auch
        
        
          die entsprechenden Kompetenzentwicklungs-
        
        
          programme sein.
        
        
          Biel:
        
        
          Wie könnte – in wenigen Stichworten –
        
        
          die „Fabrik der Zukunft“ aussehen? Wieweit
        
        
          wachsen reale und virtuelle Welt zusammen?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Mithilfe
        
        
          horizontaler und vertika-
        
        
          ler Integration von IT, Produktions- und Au-
        
        
          tomatisierungstechnik
        
        
          soll eine Fabrik ge-
        
        
          schaffen werden, welche komplexe Systeme
        
        
          beherrschen kann, wenig störanfällig ist und die
        
        
          Effizienz in der Produktion steigert. Angetrieben
        
        
          wird dieser Prozess durch Innovationen im Be-
        
        
          reich IT, Embedded Systems und Maschinen-
        
        
          bau, also Segmente, in denen Deutschland zu
        
        
          den Marktführern gehört. Die Digitalisierung
        
        
          und Vernetzung all dieser Elemente ermöglicht
        
        
          virtuelle Planungen, die „Eins-zu-Eins“ in die
        
        
          Realität umgesetzt werden können. Zudem wird
        
        
          jedes Werkstück oder Produkt eine digitale Sig-
        
        
          natur haben, die in der Produktentwicklung ge-
        
        
          schaffen und über den gesamten Lebenszyklus
        
        
          wie ein Fingerabdruck Bestand haben wird.
        
        
          Biel:
        
        
          Müssen wir so weit gehen, dass auch un-
        
        
          ter dem Vorzeichen von „Industrie 4.0“ mögli-
        
        
          cherweise bestehende Geschäftsmodelle oder
        
        
          die Geschäftsstrategie infrage zu stellen sind?
        
        
          Ist die „schöpferische Zerstörung“ gemäß
        
        
          Schumpeter in diesem Fall zu hoch gegriffen?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Wenn von der 4. Industriellen Re-
        
        
          volution gesprochen wird, kann man auch deren
        
        
          gesellschaftspolitische Implikationen erörtern.
        
        
          Ich denke, dass die Evolutionsökonomik aus-
        
        
          reichend Ansätze dafür bereithält. Theorien
        
        
          Schumpeters aber auch Kondratjews können
        
        
          bei der Skizzierung zukünftiger Entwicklungen
        
        
          hinzugezogen werden. Ich bin auch davon über-
        
        
          zeugt,
        
        
          dass erfolgreiche Unternehmen kon-
        
        
          tinuierlich ihre Geschäftsmodelle oder ihre
        
        
          Geschäftsstrategie hinterfragen sollten
        
        
          .
        
        
          Und dies nicht nur vor dem Hintergrund einer
        
        
          Existenzkrise oder Technologierevolution her-
        
        
          aus. Zuallererst sollten die Chancen gesehen
        
        
          werden. Die Möglichkeiten und deren Qualität
        
        
          der Datengewinnung und Auswertung steigen.
        
        
          Biel:
        
        
          Sehen Sie auch die Möglichkeit, dass die-
        
        
          se Daten über die Optimierung der eigenen
        
        
          Produktions- und Logistikprozesse hinaus ge-
        
        
          nutzt werden können?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Dieser Überlegung stimme ich
        
        
          gerne zu. Die Unternehmen sollten diese Daten
        
        
          nicht nur zur Optimierung ihrer eigenen Produk-
        
        
          tions- und Logistikprozesse nutzen. Denn es
        
        
          können beispielsweise nachgelagerte Dienst-
        
        
          leistungen auf Basis dieser Daten entwickelt
        
        
          werden.
        
        
          Biel:
        
        
          Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Beispielsweise kann Mehrwert
        
        
          durch eine Verlängerung der Produktlebenszy-
        
        
          klen geschaffen werden, der durch Monitoring,
        
        
          Diagnose und vorausschauende Instandhaltung
        
        
          erreicht werden kann.
        
        
          Biel:
        
        
          Weil es so wichtig ist, lassen sie mich bit-
        
        
          te an dieser Stelle noch einmal nachhaken: Bei
        
        
          unseren Betrachtungen steht die Sicherung der
        
        
          Wettbewerbsfähigkeit, der Wirtschaftlichkeit
        
        
          und Produktivität im Fokus – und damit die öko-
        
        
          nomischen Chancen, auch für unseren Wirt-
        
        
          schaftsstandort. Aber eine derart weitreichende
        
        
          Umwälzung wirkt sich in vielfacher Hinsicht
        
        
          auch ökologisch und sozial aus und berührt die
        
        
          Privatsphäre, die Datensicherheit usw., um eini-
        
        
          ge Stichwörter zu nennen. Welche Risiken ge-
        
        
          hen wir als Gesellschaft ein? Welchen Preis
        
        
          müssen wir bezahlen? Können wir beispielswei-
        
        
          se die steigende Komplexität noch beherrschen
        
        
          und den Datenschutz gewährleisten?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Die Komplexität der Systeme
        
        
          und der Anforderungsprofile an Mitarbeiter
        
        
          wird steigen
        
        
          , wie dies auch schon in der Ver-
        
        
          gangenheit der Fall gewesen ist – wir reden
        
        
          hier von einer Vision, einem Entwicklungspro-
        
        
          zess, der seine Zeit brauchen wird, bevor er „in
        
        
          der Mitte der (Industrie-) Gesellschaft“ ange-
        
        
          kommen ist. Auf dem Weg dorthin müssen
        
        
          möglichst alle Beteiligten abgeholt und mitge-
        
        
          nommen werden.
        
        
          Biel:
        
        
          Sind aus Ihrer Sicht „auf diesem Weg
        
        
          dorthin“ bestimmte Weichen zu stellen?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Um das notwendige Wissen recht-
        
        
          zeitig vorhalten zu können, muss schon heute
        
        
          ausgebildet werden. Mittel- bis langfristig wer-
        
        
          den nahezu alle Stellen im Unternehmen von
        
        
          diesem Wandel betroffen sein. Die Bereitschaft
        
        
          im Unternehmen zum Nachqualifizieren und
        
        
          dem
        
        
          „lebenslangen Lernen“
        
        
          muss geschärft
        
        
          werden. Die Fähigkeit, den ständigen Technolo-
        
        
          giefortschritt für die eigene Wettbewerbsfähig-
        
        
          keit zu nutzen, wird immer wichtiger, denn die
        
        
          Geschwindigkeit der Technologie-Evolution
        
        
          nimmt zu.
        
        
          Biel:
        
        
          Welche Rolle kommt dabei dem Wissen
        
        
          zu? Der große Management-Vordenker Peter F.
        
        
          Drucker hat schon vor langer Zeit den Begriff
        
        
          „Wissensarbeiter“ geprägt. Wissensarbeiter als
        
        
          Mitarbeiter, die für die Anwendung ihres erwor-
        
        
          benen Wissens entlohnt werden. Schlägt die
        
        
          Stunde der Wissensarbeiter?
        
        
          Dr. Dauner: Wissen ist in der Tat der zentra-
        
        
          le Gedanke:
        
        
          Wissen bei den Betroffenen (Ent-
        
        
          scheidern und Anwendern in der Werkhalle),
        
        
          was Industrie 4.0 jetzt und in Zukunft bedeutet –
        
        
          und Wissen darüber, wie diese Systeme funktio-
        
        
          nieren, erschaffen, bedient und gewartet wer-
        
        
          den. Aber die Erkenntnisse aus vorhergegange-
        
        
          nen Technologiesprüngen ermöglichen uns, dies
        
        
          frühzeitig anzugehen. Aufklärung und Know-
        
        
          how-Management sind die Wegbereiter einer
        
        
          erfolgreichen Implementierung von Industrie
        
        
          4.0. Es liegt in der Verantwortung, aber auch im
        
        
          natürlichen Interesse der Unternehmen, dieses
        
        
          Wissen unter ihren Mitarbeitern zu verbreiten.
        
        
          Biel:
        
        
          In welchem Umfange müssen wir mit
        
        
          Kostensteigerungen rechnen z. B. für höhere
        
        
          IT- und Sicherheitskosten?
        
        
          Dr. Dauner:
        
        
          Im Zuge der anstehenden Investi-
        
        
          tionszyklen werden ohnehin moderne Produk-
        
        
          tions- und Fertigungslösungen in den Werkhal-
        
        
          
            Industrie 4.0 – eine neue Herausforderung: Interview mit Dr. Gerhard Dauner