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und Foren diskutiert. Inzwischen erreicht er
verstärkt auch Management und Controlling.
Im Jahre 2014 thematisierten beispielsweise
sowohl der 39. Congress der Controller in
München als auch das 28. Stuttgarter Control-
ler-Forum diesen Begriff und die damit verbun-
dene Entwicklung. Wie sieht es die Praxis? Ha-
ben wir es mit einem Hype zu tun? Erklären
substanzielle Entwicklungen und Veränderun-
gen tatsächlich diesen rasanten Bedeutungs-
gewinn? Welche Umstände treiben diese Aus-
breitung und diesen Aufbruch? Auf die Bedeu-
tung der Informations- und Kommunikations-
technologie in diesem Zusammenhang haben
Sie bereits verwiesen.
Dr. Dauner:
Der Begriff „Industrie 4.0“ ist den
meisten Unternehmen der Fertigungsindustrie
mittlerweile bekannt, aber oft ist die konkrete
Bedeutung noch nicht angekommen. Gerade
hier besteht Informations- und Aufklärungs-
bedarf, damit die Umsetzung nicht nur bei
kleineren, hochtechnologischen Vorreiterunter-
nehmen oder Großkonzernen geschieht und
dagegen ein Großteil der Unternehmen den
Anschluss verliert.
Biel:
Und der Bezug zur Hannover Messe – was
sagt uns dies?
Dr. Dauner:
Fällt das Schlagwort „Industrie
4.0“, sind meist die Bilder der Hannover Messe
präsent: super-schnelle, autonom agierende
Roboter in menschenleeren Fabrikhallen – alles
misst, erfasst und kommuniziert mit jedem, und
über allem wacht die IT, die dafür sorgt, dass
alles von selbst läuft. Abstrakte Vorstellungen
von neuen Maschinen, intelligenten IT-Syste-
men und Fabrikhallen-umspannenden Kommu-
nikationsnetzwerken. Die Möglichkeiten der
Datengenerierung und -verarbeitung sind
schier unendlich. Entsprechende Rechenleis-
tungen und Algorithmen zur Kommerzialisie-
rung möglicher Auswertung und Datenanalysen
schaffen Mehrwert und die Grundlagen für
mögliche Optimierungen dieser Prozesse.
Biel:
So wie Sie die mögliche Realität von
Industrie 4.0 skizzieren, könnte es sich um eine
nachhaltige Entwicklung handeln. Demnach
keine Modeerscheinung?
Dr. Dauner:
Ich möchte den Begriff Industrie
4.0
nicht als Modeerscheinung
verstanden
wissen, der morgen schon wieder in der Be-
deutungslosigkeit einer dynamischen Techno-
logiewelt verschwindet. Im Kern aller Begriff-
lichkeiten geht es jedoch in erster Linie um die
Steigerung der Produktivität durch die Au-
tomatisierung der Prozesse
.
Biel:
Bitte lassen Sie uns diese Veränderungen
einordnen. Gemäß BDI-Angaben generieren die
Industrie und die industrienahen Dienstleister
mehr als ein Drittel der Wertschöpfung der
deutschen Volkswirtschaft. Sie beschäftigen
den Angaben zufolge zusammen unmittelbar
zwölf Millionen Menschen. Das entspricht etwa
30 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland,
13.10.2014). Was bedeuten diese Zahlen im
Hinblick auf unser Thema – Deutschland als
Industrieland?
Dr. Dauner:
Die Zahlen besagen, dass
Deutschland im globalen Wettbewerb der
Standorte erfolgreich ist und dies auch bleiben
will (und muss). Der Standort Deutschland ver-
fügt über einzigartige Technologiecluster –
Zentren, die durch eine Vernetzung von Wis-
senschaft, Forschung, Anwendung und insti-
tutioneller Infrastruktur maßgeblich dazu bei-
getragen haben, dass Deutschland mit diesen
Werten im internationalen Vergleich aufwarten
kann. Zudem ist die deutsche Fertigungsin-
dustrie dafür bekannt, Lösungen für nahezu
jede Herausforderung zu entwickeln. Mit der
Konvergenz von Mechatronik und ITK wer-
den den Unternehmen neue Möglichkeiten
der Lösungsfindung gegeben.
Die gegebe-
ne Dichte an Lösungsanbietern als auch die
der Lösungsnachfrager am Standort Deutsch-
land ermöglicht uns, zeitnah praktikable und
massentaugliche Anwendungen und funk-
tionsfähige Systeme zu präsentieren. Dieser
anwendungsorientierte Ansatz wird m. E. ei-
nen Erfolgsfaktor beim Erhalt und Ausbau
der hohen Bruttowertschöpfung bilden.
Biel:
Aber, wo stehen wir heute tatsächlich? In
einer Pressemitteilung der KPMG (10. Juli
2014) heißt es u. a.: „Die zunehmende Digitali-
sierung von Produktionsprozessen („Industrie
4.0“) bereitet vor allem deutschen Industrieun-
ternehmen Sorge.“ Und in einer ECO-Mitteilung
(Verband der deutschen Internetwirtschaft e.
V.) heißt es beispielsweise „Wirtschaft ohne
Orientierung bei Industrie 4.0“ oder „Viele Un-
ternehmen sind mit Industrie 4.0 schlichtweg
überfordert“ (6. August 2014). Laut IW (Institut
der deutschen Wirtschaft) ist z. B. 59,9% der
Unternehmen dieses Thema unbekannt und
28,1% hätte bisher nur davon gehört (Befra-
gung Juli 2013,
infodienste/iwd/archiv/beitrag/industrie-4-0-
die-naechste-industrielle-revolution-165805?
highlight=Industrie%25204.0 – Abfrage am
13.10.14). Können Sie uns diese Angaben inter-
pretieren? Reden wir eher über eine Vision als
über bereits gelebte Realität? Daher: Wo ste-
hen wir wirklich?
Dr. Dauner:
Die Schlagworte im Zusammen-
hang mit diesem Thema sind den Unternehmen
Autoren
Dr. Gerhard Dauner
ist Partner bei KPMG, Sektorleiter Industrielle Produktion für
Europa, Mittlerer Osten und Afrika.
E-Mail:
Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent für verschiedene Medien.
Ihm wurde die Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Fachjourna-
listen Verbands und des Internationalen Controller Vereins ver-
liehen. Er sieht auf eine langjährige verantwortliche Tätigkeit in
einem Großkonzern in den Bereichen Methoden, Systeme und
Projektmanagement zurück.
E-Mail:
Industrie 4.0 – eine neue Herausforderung: Interview mit Dr. Gerhard Dauner