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03/18 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
der Alibaba-Entwickler ohne direkte
Steuerung durch die Topebene, das
offene Kommunikations- und Infor-
mationssystem sowie häufige Wechsel
der Manager zwischen den Unterneh-
mensbereichen. „Durch den Wegfall
von Berichtswegen werden Entschei-
dungen von sachkundigen Experten
oder Teams unmittelbar getroffen und
können ebenso schnell umgesetzt wer-
den“, sagt Schmidt. „Externe Partner
des Wertschöpfungsnetzwerks steuern
fehlende Kompetenzen bei.“
Ein ähnliches „schwarmartiges Ver-
halten“ zeigten die US-Unternehmen
Google, Netflix, Amazon sowie Spotify
aus Schweden. In Deutschland seien All-
safe Jungfalk, ein Zulieferer der Logistik­
branche mit Sitz im badischen Engen,
und der Wiesbadener IT-Dienstleister
AOE Beispiele für mittelständische Un-
ternehmen, die Selbstorganisation vor-
leben. So werden die Arbeitsplätze bei
Allsafe Jungfalk entsprechend den Kom-
petenzen und Wünschen der Beschäf-
tigten zugeschnitten – nicht umgekehrt.
30 Prozent der Arbeitszeit sind für Pro-
jekte reserviert, die die Mitarbeiter aus
eigenem Antrieb verfolgen.
Innovation aus dem Lab
Ein Selbstläufer ist die Selbstorganisa-
tion allerdings nicht. Manager, die in
klassischen Unternehmensstrukturen
groß geworden seien, übersähen gern
den Faktor Mensch, meint Schmidt.
Nicht jeder könne und wolle frei ge-
stalten. Wer lieber geführt werde, statt
sich selbst zu führen, stehe im Netz-
werk auf verlorenem Posten. Ein weite-
res Problem ist, dass sich der Schalter
nicht einfach per Vorstandsbeschluss
auf Netzwerkorganisation umlegen
lässt. Verordnete Freiheit ist ein Wi-
derspruch in sich. Deshalb sieht der in
Barcelona lebende Unternehmer und
Managementautor Lars Vollmer die
„Innovation Labs“ kritisch, die man-
cher Tanker als Schnellboote auf die
Reise schickt – „am liebsten in Berlin,
Barcelona, Tel Aviv oder im Valley, in
CHRISTOPH STEHR
ist freier Journalist in
Hilden.
der Hoffnung auf reichen Ideensegen
und vor allem Befruchtung der großen
Eiswüste zu Hause“, so Vollmer. Natür-
lich könnten dabei clevere Produkte
herauskommen, aber nur, weil die Lab-
Mitarbeiter „ohne prozessuale Vorga-
ben und Reporting-übersäuerte Jour
fixes einfach nur machen dürfen“.
Dass die Innovationskultur aus dem
Lab sich irgendwie in die große Organi-
sation überführen ließe, sei völlig illu-
sorisch, ist sich Vollmer sicher. „Denn
Menschen bringen die Kultur nicht mit
wie eine Kiste Bier, wenn sie wieder an
ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren.“
Vollmer versteht die Lab-Gründung als
Offenbarungseid: „Damit geben die
großen Unternehmen implizit zu, dass
sie am Heimatstandort innovations-
unfähig sind. Und schlimmer: Mit der
Lab-Gründung werden sie sogar noch
innovationsunfähiger! Denn durch die
implizite Botschaft an alle Mitarbeiter
am Heimatstandort lernt die Organi-
sation nachhaltig: Wir sind hier nicht
innovativ, sollen wir auch nicht. Mit
Innovationen brauchen wir uns künftig
nicht mehr abzuplagen, dafür ist jetzt
das Berliner Lab zuständig.“
Die Gefahr, dass Netzwerkstrukturen
nur als Insellösungen funktionieren,
sieht Andreas Zeuch, Unternehmens-
berater und Autor in Berlin. Gerade in
global tätigen Konzernen werde deut-
lich, wie schwierig es sei, Verände-
rungen wirklich auch organisationsweit
durchzusetzen. „VW wäre da ein gutes
Beispiel“, findet der Berater. „Einerseits
wird mit viel Pomp und Medienpräsenz
von einem Kulturwandel geredet, und
ansonsten werden weiter Produktionen
in Länder ausgelagert, die billiger pro-
duzieren und schlechtere Rahmenbe-
dingungen haben, wie zum Beispiel
Ungarn. Dort werden systematisch die
Arbeitnehmerrechte kleingehalten.“
Glaubwürdig seien strukturelle Ver-
änderungen nur, wenn die Unterneh-
mensführung die eigenen Aufgaben und
Befugnisse infrage stelle und die Mitar-
beiter in unternehmensrelevante Ent-
scheidungen einbeziehe: „Die Zukunft
der Arbeit muss durch das Nadelöhr des
Topmanagements.“
„Bislang mangelt es an Konzernbeispie-
len erfolgreicher Transformation vom
Top-down zu Selbstorganisation.“
Dr. Andreas Zeuch, Unternehmensberater und Autor
„Die Menschen in Netzwerkorganisati-
onen bringen aufgrund ihrer intrinsi-
schen Motivation Ideen hervor.“
Dr. Silvester Schmidt, Berater, Betreiber von schwarmorganisation.de
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