Personalmagazin 8/2017 - page 20

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TITEL
_AUSBILDUNGSABBRÜCHE
personalmagazin 08/17
E
s bringt nichts, über den Fach-
kräftemangel in der Pflege zu
jammern – es hilft nur, selbst
auszubilden: Das ist ein Dog-
ma bei der katholischen Seniorenpfle-
geeinrichtung St. Gereon. Inzwischen
bilden die Altenpfleger aus dem nord-
rheinwestfälischen Hückelhoven sogar
weit über den eigenen Bedarf aus – der,
dank einer geringen Fluktuation und
einem niedrigen Krankenstand, ohne-
hin über einzelne Nachwuchskräfte im
Jahr nicht hinausgeht. Ganze 100 Azubis
bilden die Altenpfleger aktuell in einem
Ausbildungsjahr aus und versorgen so
auch den nordrhein-westfälischen und
überregionalen Arbeitsmarkt mit gut
ausgebildeten Fachkräften im – wie Ar-
beitsmarktforscher sagen – „Mangelbe-
ruf“ Altenpfleger.
Um dies finanziell stemmen zu kön-
nen, nutzt St. Gereon das Umlageverfah-
ren Nordrhein-Westfalen – ein Topf, in
den alle Pflegeeinrichtungen des Bun-
deslands je nach ihrer Größe einzahlen.
Wer ausbildet, bekommt die Vergütung
seiner Azubis aus dem Fonds erstattet.
Von
Andrea Sattler
(Red.)
Die Auswahl der vielen Azubis erfolge
„sehr niedrigschwellig“, wie Manuela
Garbrecht, Ausbildungskoordinatorin
bei St. Gereon, berichtet. Das bedeutet
konkret: Langen die Ausbildungskapa-
zitäten, wird jeder eingestellt, der sich
bewirbt – vorausgesetzt, er kann dreier-
lei vorweisen: ein Alter von mindestens
sechzehn Jahren, einen Hauptschulab-
schluss und den Beweis, dass er nicht
vorbestraft ist. Anschließend folgt ein
Infogespräch. Darauf, mit allen Bewer-
bern ein echtes Einstellungsgespräch
zu führen, legen die Altenpfleger keinen
Wert: Denn ob mit oder ohne Interview
– einige Azubis würden ihre Ausbildung
so oder so abbrechen, so ihre Erfahrung.
Muslime, Schwule, Tätowierte:
Keiner wird diskriminiert
Die geringen Einstellungskriterien fin-
den die Altenpfleger hingegen äußerst
wichtig: „Die Hürden für die Ausbildung
sind heute so hoch, dass sich viele schon
davor scheuen“, kritisiert Garbrecht.
Viele Firmen wollten nur die Besten. Als
kirchliche Einrichtung sehe St. Gereon
aber gerade darin einen Auftrag, auch
denen eine Chance zu geben, die sonst
keine Chance bekämen. Das Ergebnis
ist eine bunt gemischte Azubitruppe,
darunter viele, deren Religion, sexuelle
Orientierung oder Äußeres aus Sicht der
katholischen Kirche nicht „kirchenkon-
form“ ist: Frauen mit Kopftuch, schwule
Paare, junge Leute, die bis zum Hals tä-
towiert sind – alle bildet die kirchliche
Einrichtung aus. Viele der Azubis, be-
richtet die Ausbildungskoordinatorin,
kämen zudem aus schwierigen sozialen
Verhältnissen. Oft müsse man die jun-
gen Leute „nachsozialisieren“.
Offenbar hat sich die vorurteils-
freie Chance auf eine Ausbildung mit
intensiver Unterstützung unter den
Jugendlichen in der Region schnell he-
rumgesprochen: Hatte St. Gereon in
den vergangenen drei Jahren insgesamt
rund 50 Azubis, begannen dort im ver-
gangenen Ausbildungsjahr schon rund
100 junge Leute ihre Ausbildung. „In-
zwischen sind wir an unsere Grenzen
gestoßen“, resümiert Garbrecht. Die
Altenpfleger können zurzeit nicht alle
Bewerber einstellen – und haben daher
die Einstellungen auf die ersten 100 Be-
werber reduziert. Seit dem vergangenen
Ausbildungsjahr gilt nun das Motto:
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Der „Run“ auf die Ausbildungsplätze
habe eine ganz schöne Umstellung für
die Altenpflegeeinrichtung bedeutet.
„Wir mussten schnell unser Konzept än-
dern“, berichtet Garbrecht. „Aber zum
Glück haben wir einen Chef, der sehr
experimentierfreudig ist.“ Zum neuen
Ausbildungskonzept gehören neue Rol-
len: eine Vollzeit-Azubi-Koordinatorin
und Praxisanleiter an der Basis, die nicht
Stark für die Schwachen
PRAXIS.
Die St. Gereon Seniorendienste machen Ernst mit der Chance für schwache
Bewerber: Hier kann jeder Azubi werden, der will – egal, was er kann und wie er ist.
„Viele unserer Azubis kommen aus
einem Umfeld, in dem ihnen vermittelt
wird: ‚Du bist nichts, du kannst nichts‘.“
Manuela Garbrecht, Ausbildungskoordinatorin bei St. Gereon
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