Personalmagazin 8/2017 - page 24

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TITEL
_AUSBILDUNGSABBRÜCHE
personalmagazin 08/17
Ebenso wie das Triale Studium spricht
„Abi und Auto“ junge Erwachsene an,
die einer handwerklichen Ausbildung im
KFZ-Gewerbe zugetan sind und mit einer
raschen Karriere inklusive Führungsauf-
gaben beispielsweise als Werkstatt- oder
Serviceleiter liebäugeln. Konkret bein-
haltet „Abi und Auto“ die Ausbildung
zum KFZ-Mechatroniker, staatlich ge-
prüften Servicetechniker und Technik-
meister – alles zusammen in nur drei
Jahren. Nach Angaben der KFZ-Innung
hat sich das Programm zu einem „Ren-
ner“ entwickelt, „die Nachfrage ist höher
als erwartet“, betont Berufsbildungsrefe-
rent Johannes Lock. Seit Programmstart
durchliefen pro Jahr etwa 30 Teilnehmer
die Ausbildung. „Alle schließen ab.“
Viele Teilnehmer würden bekunden,
nach vielen Jahren in der Schule unbe-
dingt „etwas Praktisches“ tun zu wollen.
Aber auch ein nicht unerheblicher Anteil
von Studienabbrechern aus Maschinen-
bau und Fahrzeugtechnik entscheidet
sich für „Abi und Auto“, das beispiels-
weise bei der KFZ-Innung Rhein-Neckar-
Odenwald ebenso Nachahmer gefunden
hat wie in Unter-, Mittel- und Oberfran-
ken. Während das gemeinsame Projekt
der fränkischen Handwerkskammern,
KFZ-Innungen und der Berufsschule
Haßfurt im September 2013 startete und
bisher 73 Teilnehmer verzeichnet, ent-
schieden sich für die erstmals vor drei
Jahren angebotene Ausbildung in Baden-
Württemberg bis heute 45 Interessenten.
Ausbildung erinnert an Tierhaltung
Über einen etwas ungewöhnlichen Wer-
degang berichtet Eva Heim, Absolventin
von „Abi und Auto“ in München. Mit
der Perspektive, später eine Führungs-
aufgabe im Familienbetrieb zu überneh-
men, studiert sie zunächst Betriebswirt-
schaftslehre. Weil technische Themen
im Studium „komplett fehlten“, ent-
scheidet sie sich, „Abi und Auto“ drauf-
zusatteln. Vorteil: Dank ihres BWL-Stu-
diums benötigt sie für die Meisterschule
weniger Zeit als die anderen. Plötzlich
stirbt ihr Vater, der das Autohaus in
Neufahrn zu einem 40-Mann-Betrieb
ausgebaut hat. Heim, noch keine 30 Jah-
re alt, übernimmt die Geschäftsführung.
Abgesehen vom tragischen Geschehen
verläuft Heims Werdegang passgenau.
„Auf meine herausfordernden Aufgaben
wurde ich durch das Ausbildungsange-
bot bestens vorbereitet“, lautet ihr Fazit.
Das hat auch Einfluss auf ihre perso-
nalwirtschaftlichen Entscheidungen.
„Wenn ich eine Führungskraft suchen
sollte, wäre ein Absolvent von ‚Abi und
Auto‘ ideal qualifiziert.“ Diese Einschät-
zung teilt auch ZDH-Bildungsexperte
Born. Die Verzahnung von Aus- und
Fortbildung der hier skizzierten Initiati-
ven sei „zukunftsträchtig“. Jugendliche
wollten nicht nur erfahren, was in der
Ausbildung von ihnen erwartet wird.
„Sie wollen auch konkrete Perspektiven
für die Zeit danach entwickeln.“
Doch das Handwerk tut sich ziemlich
schwer, dem Nachwuchs solche Per-
spektiven aufzuzeigen. Nach Angaben
des BIBB wird jeder dritte Ausbildungs-
vertrag vorzeitig aufgelöst, zwei Drittel
innerhalb des ersten Lehrjahrs. Zwar
gelingt es einer beträchtlichen Zahl, ei-
nen alternativen Vertrag abzuschließen.
Doch das kann nicht über die struktu-
rellen Probleme hinwegtäuschen, die
dem Handwerk offenbar kulturell inne-
wohnen. „Gerade im Elektro-, KFZ- sowie
Sanitär- und Heizungsbereich wird im-
mer höherer technischer Sachverstand
erwartet“, beobachtet Glasl. „Doch um
den Nachwuchs zu gewinnen, muss auch
die Unternehmenskultur stimmen.“
Wie aus Forschungsarbeiten des
Fröhler-Instituts hervorgeht, tragen für
Azubis besonders Konflikte mit Kolle-
gen, zu viele Routinetätigkeiten und zu
knappe Einweisungen zum Abbruch bei.
Betriebsinhaber und Ausbilder hingegen
bemängeln vor allem fehlende Motiva-
tion, unentschuldigtes Fehlen und eine
falsche Berufsvorstellung der Azubis.
Um Konflikte einzudämmen, empfiehlt
das Institut vorgeschaltete Praktika, klar
strukturierte Ausbildungsverläufe und
eine bessere Ausbildungsberatung. Der
DGB macht sich für einen gesetzlichen
Anspruch auf einen Ausbildungsplan
stark, der vielerorts fehlt.
Für Carl-Heiner Schmid steht dem
Handwerk auf demWeg zum attraktiven
Arbeitgeber noch viel Arbeit ins Haus.
Denn an den „goldenen Boden“, den das
Handwerk lange Zeit versprach, glaubt
der Nachwuchs immer weniger – nicht
zuletzt aufgrund des autoritären Klimas
in vielen Betrieben. „Solange das Anler-
nen junger Menschen an Tierhaltung
erinnert, habe ich wenig Hoffnung.“
WINFRIED GERTZ
ist freier Journalist in
München.
BILDERGALERIE
In einer Bildergalerie in der Personal-
magazin-App sehen Sie weitere Motive
aus der aktuellen Imagekampagne des
Handwerks.
„Um im Handwerk Nachwuchs zu ge-
winnen, muss auch die Unternehmens-
kultur in den Betrieben stimmen.“
Dr. Markus Glasl, Vize-Geschäftsführer des Ludwig-Fröhler-Instituts (lFI)
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