Personalmagazin 8/2017 - page 18

18
TITEL
_AUSBILDUNGSABBRÜCHE
personalmagazin 08/17
für Abbrüche sein kann. Allen dualen
Studenten haben wir Fragen zur Aus-
bildungsgestaltung gestellt. Beim Ver-
gleich der Antworten von Jugendlichen
mit und ohne Abbruchgedanken zeigte
sich: Weiche Kriterien wie Wertschät-
zung und Work-Life-Balance können ein
Indikator für harte Folgen sein, ob je-
mand zum Abbruch tendiert oder nicht.
Dort, wo die Abbruchquote hoch ist,
fehlt etwa das Gleichgewicht zwischen
Arbeit und Privatleben und umgekehrt.
Dieses Phänomen erklären wir mit dem
Modell der „Gratifikationskrise“ …
personalmagazin:
Das müssen Sie kurz
erklären.
Deuer:
Das Modell stammt aus der Me-
dizinsoziologie und geht auf Johannes
Siegrist zurück. Es beschreibt das Miss-
verhältnis zwischen dem, was jemand –
etwa ein Azubi – leistet und dem, was er
dafür zurückbekommt – also Vergütung,
Lob oder Wertschätzung. Leistet der
Azubi etwas, bekommt dafür aber nichts
zurück, entsteht eine Gratifikationskri-
se. Medizinische Studien haben gezeigt:
Dort, wo solche Krisen ausgeprägt sind,
entstehen häufiger Herzerkrankungen
und Burn-out. In meiner Forschung
habe ich die Gratifikationskrise auf Ar-
beitsverhältnisse übertragen und fest-
gestellt: Es gibt auch eine eindeutige
Korrelation zwischen der Krise und der
Abbruchneigung eines Azubis.
personalmagazin:
Worüber beklagen sich
die Jugendlichen am häufigsten?
Deuer:
Sie beschweren sich häufig, dass
es in ihrem Betrieb keinen guten Mix
„Schluss mit Jammern“
INTERVIEW.
Die meisten Ausbildungen scheitern am Zwischenmenschlichen, sagt der
Forscher Ernst Deuer. Die Ausbilder müssten von ihrem hohen Ross herunterkommen.
personalmagazin:
Weniger Ausbildungsab-
brüche: Dafür starten Politik, Wirtschaft
und Gewerkschaften immer neue Initia-
tiven. Wie haben sich diese denn bislang
auf die Zahl der Abbrüche ausgewirkt?
Ernst Deuer:
So gut wie gar nicht. Wenn
ich die Entwicklung von Ausbildungsab-
brüchen in den vergangenen 20 Jahren
betrachte, herrscht fast Stillstand: Die
Abbruchquote liegt seit den 1990er-
Jahren ziemlich konstant bei 140.000
bis 150.000 Ausbildungsabbrüchen im
Jahr, das betrifft jeweils zwischen 22
und 25 Prozent der Ausbildungsverhält-
nisse. Dabei hat es in der Tat die ganze
Zeit über nicht an Initiativen gemangelt.
Und es ist auch schon seit 20 Jahren
bekannt, wo die Gründe für Abbrüche
liegen. Aber es ist offenbar schwer, das
Problem in den Griff zu bekommen.
personalmagazin:
Warum ist es so schwer,
etwas Wirksames dagegen zu tun?
Deuer:
Ein Grund dafür ist meiner Mei-
nung nach, dass jeder Abbruch seine
eigene Geschichte hat – und es sich
schwer bewerten lässt, ob eine indivi-
duelle Lösung auch allgemein greift.
Ein weiteres Problem: Bei Ausbildungs-
abbrüchen untersucht man ein Ausbil-
dungsverhältnis, das zum Zeitpunkt der
Untersuchung schon beendet ist. Das ist
methodisch anspruchsvoll, denn meist
kann man die Jugendlichen nicht mehr
zu ihren Gründen befragen. Das Bun-
desinstitut für Berufsbildung erforscht
diese Gründe über repräsentative Nach-
befragungen: Die Forscher sprechen
über Kammern Abbrecher an und befra-
gen sie zu den Ursachen.
personalmagazin:
Was ist laut Forschung
der häufigste Grund für Abbrüche?
Deuer:
Es gibt zwar insgesamt viele ver-
schiedene Gründe. Aber die meisten
Jugendlichen, die ihre Ausbildung ab-
brechen, nennen Probleme im Betrieb
als Grund. In eigenen Studien haben
wir duale Studenten befragt, die ja ähn-
lich wie Azubis auch doppelt in Betrieb
und Schule verankert sind. Wir haben
zwischen den Studenten unterschie-
den, die einen Ausbildungsabbruch für
wahrscheinlich erachten, und denen
ohne Abbruchneigung. Dabei stützten
wir uns auf die Erkenntnis aus einer
früheren Studie, dass eine Abbruch­
neigung auch tatsächlich ein Indikator
PROF. DR. ERNST DEUER
ist Professor für
Personalmanagement an der DHBW Ravens-
burg und forscht zu Ausbildungsabbrüchen.
1...,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17 19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,...92
Powered by FlippingBook