Personalmagazin 8/2017 - page 19

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08/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Andrea Sattler.
aus Aufgaben und Anforderungen gibt,
dass Lob und konstruktive Rückmeldun-
gen fehlen. Dies zu verbessern könnte
ein wirkungsvoller Hebel sein, um die
Abbruchneigung zu reduzieren.
personalmagazin:
Was bedeutet das für
Ausbilder und Recruiter?
Deuer:
Zwar stimmt ihre Klage, dass es
schwieriger geworden ist, gute Azubis
zu finden. Gründe sind die demografi-
sche Entwicklung und die Tatsache, dass
Schulabgänger heute lieber studieren,
als eine Ausbildung zu absolvieren. Statt
aber nur darüber zu jammern, sollten
die Betriebe tatsächlich ihre Haltung än-
dern: Bisher waren sie gewohnt, dass sie
nur die richtigen Azubis finden müssen,
und dann läuft‘s mit der Ausbildung.
Das gilt heute nicht mehr. Aber viele
Betriebe legen weiter eine selbstgerech-
te Haltung an den Tag. Wenn ein Azubi
scheitert, der kein Wunschkandidat war,
heißt es: „Na, das war ja klar.“ Außerdem
müssen Ausbilder weg von der Haltung,
dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind.
Das soll natürlich nicht so weit gehen,
dass man die Ausbildung zur Komfort-
zone erklärt. Wichtig ist jedoch, dass die
Ausbilder Brücken bauen, über die die
Jugendlichen dann hoffentlich auch ge-
hen. Nicht jeden Abbruch können sie da-
mit vermeiden, und nicht jeden Abbruch
müssen sie vermeiden. Aber viele Ab-
brüche könnten so verhindert werden.
personalmagazin:
Wann sollten bei den
Ausbildern die Alarmglocken schrillen?
Deuer:
Sie sollten gar nicht erst warten.
Viele Ausbilder lassen die Ausbildung
aber erst einmal laufen. Wenn sie mer-
ken, dass es Probleme gibt, ist es oft
schon zu spät. Stattdessen müssten
sich die Ausbilder um die Jugendlichen,
die sie einstellen, vom ersten Tag an
besser kümmern – gerade, wenn die-
se keine Wunschkandidaten sind. Und
sie wissen ja meist sehr genau, wer da
zu ihnen kommt: Denn sie haben die
Bewerbungsunterlagen gelesen, die
Jugendlichen interviewt und oft auch
getestet. Gerade in der Probezeit gilt
es daher, Probleme zu identifizieren
und diese in Angriff zu nehmen. Je
schneller dies geschieht, desto realisti-
scher ist es, dass Ausbilder und Azubi
das Problem gemeinsam lösen können
und dass der Azubi das bestmögliche
erreicht. Dafür stehen den Ausbildern
einige Stellschrauben zur Verfügung:
etwa ausbildungsbegleitende Hilfen,
Maßnahmen der assistierten Ausbil-
dung oder Mentorenschaften zwischen
jüngeren und älteren Azubis im Unter-
nehmen.
personalmagazin:
In manchen Fällen ist
aber dennoch alle Liebesmüh‘ umsonst...
Deuer:
Das stimmt zwar – aber nicht je-
der Abbruch ist die schlechteste Lösung
für alle Beteiligten. Manchmal ist ein
Fortführen des Ausbildungsverhältnis-
ses für eine oder sogar beide Seiten ein-
fach nicht mehr zumutbar. Und selbst
wenn es aus geringeren Gründen zu ei-
nem Abbruch kommt – etwa, wenn der
Jugendliche kündigt, weil seine Freun-
din in eine andere Stadt zieht –, sollten
enttäuschte Ausbilder nie vergessen:
Die Freiheit der Berufswahl gilt auch
für Azubis. Es steht ihnen frei, ihre Ent-
scheidung zu korrigieren. Das ist nicht
schön für den Betrieb und nicht schön
für die Statistik – aber Azubis, die gehen
wollen, lassen sich nicht mit der Pers-
pektive beglücken, dass sie doch noch
ihre Ausbildung abschließen könnten.
personalmagazin:
Wer zieht denn meist den
Schlussstrich: Azubis oder Betriebe?
Deuer:
In den meisten Fällen kündigen
die Jugendlichen. Dies ist aber auch da-
durch bedingt, dass die Betriebe nach
Ablauf der Probezeit nur bei massivem
Fehlverhalten kündigen können. Inte-
ressant ist: Wenn man die Beteiligten
fragt, wer für das Scheitern verant-
wortlich ist, schiebt jeder die Schuld
auf den anderen. Die Jugendlichen
meinen, der Ausbilder sei schuld, und
die Ausbilder, die Jugendlichen seien
nicht motiviert.
personalmagazin:
... und was glauben Sie?
Deuer:
Diese Einschätzung ist natürlich
auf beiden Seiten subjektiv gefärbt. Für
mich zeigt das: Etwas mehr Sensibilität
für die eigene Rolle und Verantwortung
würde allen Beteiligten guttun.
LINK-TIPPS
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) forscht zu Ausbildungsabbrüchen. Auf ihrer
Website haben die BIBB-Forscher viele Informationen rund um das Thema zusammen­
gestellt.
Auf einer Überblicksseite stehen auf der BIBB-Website zahlreiche Statistiken, Beiträge
und Materialien zu Ausbildungsabbrüchen bereit:
Dort findet sich auch ein Dossier rund um Praxismodelle, Konfliktlösungswege, Meinun-
gen und Förderprogramme zur Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen:
Außerdem bietet eine Good-Practice-Themenseite Basisinformationen, wissenschaftliche
Literaturhinweise und eine Dokumentation zu einem Praxisworkshop:
„Es ist schon lange
bekannt, wo die Gründe
für Abbrüche liegen.
Getan hat sich wenig.“
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