Personalmagazin 8/2017 - page 16

personalmagazin 08/17
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TITEL
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AUSBILDUNGSABBRÜCHE
J
eder vierte Azubi, der dieser Tage
in seine Ausbildung startet, wird
seine Lehre nicht wie geplant ab-
schließen. In manchen Berufen
wird sogar jeder zweite nicht bis zum
Ausbildungsende durchhalten. Diese
pessimistische Prognose geht aus dem
diesjährigen Berufsbildungsbericht der
Bundesregierung hervor, der auf Daten
des Bundesinstituts für Berufsbildung
(BIBB) beruht und den Bundesbildungs-
ministerin Johanna Wanka im April vor-
gestellt hat (ein Video dazu sehen Sie
in der Personalmagazin-App). Demnach
haben im Jahr 2015, auf das sich das
BIBB bezieht, 24,9 Prozent der Azubis
ihre Ausbildung abgebrochen. Eine Ver-
besserung der Lage ist nicht in Sicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass die
Bildungsforscher dieses Jahr zum wie-
derholten Mal einen Tiefstand an neuen
Ausbildungsverträgen vermelden; die
Von
Andrea Sattler
(Red.)
Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze
und die Zahl der Jugendlichen, die keine
Lehrstelle finden, klaffen jährlich weiter
auseinander. Hinzu kommen Hiobsbot-
schaften aus demografischen Studien,
die belegen, dass es nicht nur insgesamt
immer weniger Jugendliche und damit
potenzielle Azubis gibt, sondern dass
auch immer weniger junge Leute nach
der Schule Lust auf eine Ausbildung
haben.
Nicht jeder Abbruch ist ein Scheitern
Offenbar ist es also tatsächlich schwie-
riger geworden, gute Azubis zu finden.
Aber dass jedes Jahr rund ein Viertel
der Azubis seine Ausbildung abbricht,
ist kein neues Phänomen: Die Zahl der
Abbrüche hat sich nämlich über die
vergangenen 20 Jahre (seit sie erforscht
werden) kaum verändert. Und im Ge-
gensatz etwa zur Demografie, die der
durchschnittliche Ausbilder nur sehr
bedingt beeinflussen kann, kann er ge-
gen die Abbrüche selbst etwas tun. Vo-
raussetzung dafür ist es, die Gründe für
die Abbrüche zu kennen. Auch dazu gibt
es verlässliche Daten.
Sicher: Nicht hinter jedem Abbruch
steckt ein echtes Scheitern. Unter die
„Abbrüche“ nach BIBB-Definition zäh-
len auch solche Fälle, in denen ein
Azubi nahtlos in einen anderen Ausbil-
dungsberuf wechselt – also seinen ur-
sprünglichen Vertrag beendet, damit er
den neuen unterschreiben kann. Auch
Abbrüche, die sich beim besten Willen
nicht verhindern lassen, werden in die
Statistik eingerechnet: Etwa wenn der
Malerlehrling seine Ausbildung abbre-
chen muss, weil er gegen eine Substanz
in den bei der Arbeit verwendeten Far-
ben allergisch ist; oder auch, wenn der
Ausbildungsbetrieb Insolvenz anmelden
muss und die Ausbildung deshalb nicht
mehr zu Ende geführt werden kann.
Und dennoch: Die überwiegende
Mehrheit der Abbrüche, das zeigen die
BIBB-Statistiken ebenfalls, geschehen
nicht aus unvermeidbaren Gründen wie
Allergien oder Insolvenz oder wegen
eines Ausbildungswechsels – sondern
aus betrieblichen und zwischenmensch-
lichen Gründen, an denen Ausbilder und
Azubis sehr wohl gemeinsam arbeiten
könnten, um Abbrüche zu verhindern.
Zu den Hintergründen von Ausbil-
dungsabbrüchen und dem, was sich
dagegen tun lässt, haben wir Professor
Ernst Deuer von der Dualen Hochschu-
le Baden-Württemberg in Ravensburg
befragt, der schon viele Jahre zu dem
Thema forscht (das komplette Interview
lesen Sie im Beitrag „Schluss mit Jam-
mern“). Um genügend Azubis zu finden
und diese erfolgreich durch die Ausbil-
dung zu bringen, fordert Deuer ein Um-
denken: Ausbilder müssten Bewerbern,
denen sie früher eine Absage geschickt
hätten, eine Chance geben und diese von
Tag eins an intensiv fördern.
Wie diese Forderung in die Praxis um-
gesetzt werden kann, beweist seit eini-
gen Jahren die Altenpflegeeinrichtung
St. Gereon in Hückelhoven, Nordrhein-
Westfalen: Die Altenpfleger stellen alle
Bewerber, die wollen, ein – egal, wie
schlecht ihr Abschlusszeugnis und wie
schlecht ihre Sozialprognose ist. Im Bei-
trag „Stark für die Schwachen“ stellen
Update für die Ausbildung
FAKTEN.
Die Gründe für Ausbildungsabbrüche sind schon lange erforscht – getan hat
sich bislang wenig. Wir stellen Ideen gegen Abbrüche aus Forschung und Praxis vor.
VIDEO
Hiobsbotschaften aus der Statistik: Im
Video in der App sehen Sie die Vorstel-
lung des „Berufsbildungberichts 2017“.
© BMBF
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