Personalmagazin 8/2017 - page 33

08/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
art präzisiert, dass jetzt eine Duldung
für die Zeit der Ausbildung sowie zwei
weitere Jahre nach dem erfolgreichen
Berufsabschluss der Normalfall ist, aber
es gibt Auslegungsprobleme: Gilt die Un-
terschrift unter dem Vertrag schon als
Aufnahme der Ausbildung oder muss
der erste Ausbildungstag beinahe direkt
auf den Vertragstermin folgen? Kann der
Passus auch für Menschen aus als sicher
definierten Heimatländern gelten? Der
WDR berichtete über ein Unternehmen
in Gronau, das zwischen Unterschrift
und Ausbildungsstart die Abschiebung
eines 19-jährigen Albaners nicht ver-
hindern konnte. Die Zusammenarbeit
zwischen Behörden und Arbeitgeber-
verbänden, Handwerkskammern und
IHK sowie schließlich den Unternehmen
beim Thema Geflüchtete und Ausbildung
zu intensivieren, kann solche Friktionen
verhindern.
So kooperiert die Deutsche Bahn (DB)
bereits seit 2004 mit der Bundesagentur
für Arbeit – bei der Einstiegsqualifizie-
rung „Chance plus“ für Jugendliche oh-
ne Ausbildungsreife. Seit 2015 gehören
Geflüchtete dazu. Sie erhalten einen Ex-
tra-Deutschkurs. Und bereits im Herbst
2016 starteten elf der Flüchtlinge in die
Ausbildung als Elektroniker, Mechatro-
niker und Koch in der Systemgastrono-
mie. Für Herbst gibt es 50 zusätzliche
Plätze, die noch nicht alle vergeben sind.
Ulrike Stodt, Teamleiterin Bildungspro-
gramme, sieht in der Fachsprache eine
Hürde: „Abisolierzange ist schon ein
besonderer Begriff.“ Und doch unum-
gänglich, weil man mit ihr das Plastik
abzieht, ehe das Kabel in die Lüsterklem-
me gesteckt wird. Die Koordinatorin des
DB-Engagements in der Flüchtlingsin-
tegration setzt auf das Zusammenspiel
von Ausbildern, Deutschlehrern und
Sozialarbeitern. „Wenn der Kennenlern-
bann erst gebrochen ist“, erzählt Stodt,
„entsteht schnell eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit.“
Am Ausbildungsmarkt geht in der
Regel kein Weg vorbei
Wie positiv Erfahrung wirkt, zeigt das
Beratungsunternehmen BCG in seiner
Studie „Integrationskraft Arbeit“, für die
im März rund 300 Firmen befragt wur-
den. 30 Prozent der Befragten wollen
mehr, weitere 29 Prozent gleich vielen
Flüchtlingen einen Lehrvertrag geben –
und 34 Prozent sind unschlüssig. Noch
lernen die meisten Geflüchteten bei den
Befragten in der Berufsvorbereitung
Sprache und Berufsalltag kennen. „Doch
der Weg geht in der Regel über den Aus-
bildungsmarkt“, sagt BCG-Studienleiter
Alexander Baic, Experte für Gesell-
schafts- und Sozialfragen. „Und das
wird auch so bleiben.“ Denn die formale
Qualifikation und die anerkannte Be-
rufserfahrung aus den Heimatländern
stehen oft hinter den hohen Standards
der dualen Ausbildung hier zurück oder
sind mit der deutschen Berufsausbil-
dung schwer vergleichbar. Auch deshalb
fördert die BA personell und finanziell
die assistierte Ausbildung und ausbil-
dungsbegleitende Hilfen.
Ein Unternehmen, das nach guten
Azubi-Erfahrungen einen zweiten Ver-
such wagt, ist 3M in Neuss. Vor einem
Jahr richtete der Multitechnologiekon-
zern eine zusätzliche Ausbildungsstelle
für Diaa Almsouty ein. Der Syrer hatte
in seiner Heimat Abitur gemacht, hier
wurde das als Realschulabschluss aner-
kannt. Jetzt lernt er Industriekaufmann.
Trotz des Zertifikats für B2 – dem Ziel
der Kurse für Asylbewerber – braucht
der Azubi zusätzliche Deutschstunden
fürs Sprachverständnis. Sein Berufs-
schullehrer unterstützt den hochmoti-
vierten 32-Jährigen, der kürzlich Vater
wurde, ebenso wie 3M, das ihn für die
ausbildungsbegleitende Hilfe freistellt.
Bis Februar 2019 will Almsouty die kom-
plexen kaufmännischen Textaufgaben
sicher beherrschen, die in der Kammer-
prüfung im Multiple-Choice-Verfahren
auf ihn zukommen. „Die Feinheiten und
Unterschiede muss er unter Zeitdruck
verstehen und das Kreuz an der richtigen
Stelle setzen“, sagt Diana Klömpken, die
mit dem ersten Zeugnis und den Noten
im Mittelfeld zufrieden ist. Die 3M-Aus-
bildungsleiterin betont, dass Geflüchte-
te das Bewerbungssystem durchlaufen
müssen wie jeder andere: Schulleistung,
persönliche Ausstrahlung, praktisch-
handwerkliches oder kaufmännisches
Interesse werden erfragt, getestet und
bewertet. „Wir sind Profis und nur wenn
einer uns überzeugt – auch menschlich
–, erhält er einen Ausbildungsvertrag“,
so Klömpken. Das hat ein 29-Jähriger aus
Sri Lanka im Status der Duldung nun ge-
schafft und wird im September im Werk
Hilden als Industriemechaniker-Azubi
für Produktionstechnik starten. Drei-
einhalb Jahre wird er mit den anderen,
deutlich jüngeren Azubis zwischen der
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„Wir sind Profis. Nur wenn einer uns
überzeugt – auch menschlich – erhält er
einen Ausbildungsvertrag.“
Diana Klömpken, Ausbildungsleiterin bei 3M in Neuss
„Wenn der Kennenlernbann erst einmal
gebrochen ist, entsteht schnell eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit.“
Ulrike Stodt, Teamleiterin Bildungsprogramme bei der Deutschen Bahn
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