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RECHT
_DIGITALISIERUNG
personalmagazin 11/17
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
stellung treffen. Ohne Einschaltung des
Gerichts ist indes eine rechtliche Grund-
lage für eine einvernehmliche Regelung
der Frage zwischen den Betriebsparteien
nicht ersichtlich. Fraglich ist insbesonde-
re, ob § 3 BetrVG für eine entsprechende
betriebliche Regelung eine ausreichende
rechtliche Grundlage darstellt. Nach dem
Wortlaut der Vorschrift können Betriebs-
parteien den Betrieb nämlich nicht origi-
när definieren. Auch ist nicht erkennbar,
ob eine betriebliche Regelung festlegen
kann, dass Mitarbeiter, die dauerhaft
flexible Arbeitsorte – auch im Ausland
– einnehmen, unter die betriebliche
Mitbestimmung fallen sollen. Oder die
Frage, ob „Paid Crowdworker“, die unter
Umständen als Arbeitnehmer anzusehen
sind, dem Betrieb zuzuordnen sind.
Angesichts der Vielfalt neuer Arbeits-
und Kooperationsformen in Betrieben
erscheint eine entsprechende Ergän-
zung des § 3 BetrVG empfehlenswert.
Dadurch kann es den Betriebspartnern
ermöglicht werden, rechtliche Klarheit
durch eine Vereinbarung zu schaffen.
Gegenstand der Mitbestimmung:
Kaum zu überblickende Komplexität
Insgesamt dürfte der politische Konsens
bestehen, dass die digitalisierte Arbeits-
welt und Arbeiten 4.0 die betriebliche
Mitbestimmung weder einschränken
noch infrage stellen sollen. Die insbe-
sondere in § 87 BetrVG genannten Ge-
genstände der Mitbestimmung des Be-
triebsrats in sozialen Angelegenheiten
stehen – soweit ersichtlich – nicht zur
Disposition. Auch soll durch die digitali-
sierte Arbeitswelt nicht die betriebliche
Mitbestimmung untergraben werden –
mit dem Ziel, dass sie bei Arbeiten 4.0
keine oder auch nur eine geringere Rol-
le als heute spielt.
Gerade für diese Entwicklung besteht
jedoch durchaus ein Risiko: In einer
zunehmend digitalisierten Welt, in der
Unternehmen zunehmend „kluge“ Com-
puterprogramme und künstliche Intelli-
genz anwenden, nimmt die Komplexität
von unternehmerischen Maßnahmen,
die Gegenstand der Mitbestimmung
sind, stark zu. In der betrieblichen Pra-
xis werden Gegenstände verhandelt, für
die die vorhandenen fachlichen Kompe-
tenzen in Personalabteilungen und bei
Betriebsräten nicht ausreichen.
Ein Beispiel: In einem Unternehmen
sollen Computerprogramme installiert
werden, die die Vorgesetzten durch
Anwendung von Algorithmen bei Ent-
scheidungen, welcher Arbeitnehmer zu
befördern ist und wie hoch Boni aus-
fallen, unterstützen. Es muss jedoch si-
chergestellt sein, dass diese Programme
die entsprechenden Betriebsvereinba-
rungen zu Beförderungen und der be-
trieblichen Lohngestaltung einhalten.
Ob Mitglieder von Personalabteilungen
und Betriebsräten imstande sind, die
programmierten Algorithmen zu die-
sem Zweck zu analysieren, ist fraglich.
Der notwendige Sachverstand kann zwar
verschafft werden, jedoch löst dies Kos
ten aus, die im Einzelfall unverhältnis-
mäßig hoch ausfallen können.
Das Beispiel zeigt, dass Mitbestim-
mung, wenn nicht an der Digitalisie-
rung selbst, so doch an der Komplexität
des Gegenstands der Mitbestimmung
scheitern kann. Eine angemessene und
gesetzmäßige Ausübung der Mitbestim-
mungsrechte ist zumindest erschwert,
im Einzelfall gar ausgeschlossen.
Ähnlich verhält es sich, wenn der Ar-
beitgeber Softwareprogramme einführen
und anwenden möchte, die beispielswei-
se dazu bestimmt sind, das Verhalten
oder die Leistung der Arbeitnehmer zu
überwachen. Auch in diesem Fall kön-
nen die Betriebspartner im Einzelfall
die Komplexität der Softwareprogramme
und die Intensität der Überwachung
häufig nicht vollständig nachvollziehen.
Die technisch eingeschränkten Möglich-
keiten, derartige Programme entspre-
chend der Forderungen des Betriebsrats
anzupassen, können zum Scheitern des
Projekts führen.
In global operierenden Unternehmen
hat dies unter Umständen zur Folge, dass
Unternehmen Softwaresysteme an allen
Orten mit Ausnahme jener Betriebe ein-
führen, die der Mitbestimmung unter-
liegen. Hierdurch können wirtschaftlich
nachteilige Folgen für das Unternehmen
eintreten, wenn sie beispielsweise die
Qualität der Leistungen der Mitarbei-
ter nicht einheitlich erfassen und nicht
einheitlich bewerten können. Eine ein-
heitliche Bewertung der Leistungen der
Mitarbeiter, beispielsweise zum Zweck
der Bonusbestimmung, ist auch ausge-
schlossen.
Ob hier mit regulatorischen Mitteln
eine Lösung gefunden werden kann, ist
fraglich. Soweit auf betrieblicher Ebene
das Vertrauen nicht besteht, dass der
Arbeitgeber den Betriebsrat einbindet,
können die Mitbestimmungsrechte in
einem Betrieb dafür sorgen, dass die
Entwicklung innerhalb der digitalen Ar-
beitswelt erschwert oder gar verhindert
wird. Grund dafür ist die Komplexität
der digitalen Tools und die Notwendig-
keit, den Sachverstand zu beschaffen.
Wird das Datenschutzrecht zum
zentralen betrieblichen Thema?
Das Datenschutzrecht erweist sich als
eines der zentralen Themen bei der
Digitalisierung der Arbeit. Trotzdem
taucht das Wort „Datenschutz“ im Text
des BetrVG kein einziges Mal auf. Bisher
hat der Gesetzgeber folglich keine Not-
wendigkeit gesehen, den Betriebspar-
teien eine ausdrückliche Kompetenz in
Das Datenschutzrecht
erweist sich als ein
zentrales Thema bei
der Digitalisierung der
Arbeit. Dennoch taucht
das Wort „Datenschutz“
im BetrVG nicht auf.