personalmagazin 11/2017 - page 64

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RECHT
_AGILITÄT
personalmagazin 11/17
merüberlassungsvertrag“ bezeichnen
können, obwohl der gesamte Vertrag
eindeutig als Dienst- oder Werkvertrag
ausgestaltet und praktiziert wird, wenn
dies die Parteien so auch wollen. Auch
die Folgen sind ungewiss. Nach den
allgemeinen Regeln müsste die falsche
Bezeichnung unschädlich sein, wenn es
tatsächlich gelingt, das Vertragswerk
und die praktische Umsetzung klar als
Dienst- oder Werkvertrag (oder als de-
ren Mixtum) zu gestalten. Aber eine Ge-
währ dafür hat kein Unternehmen.
Schließlich ist nun in § 1 Abs. 1 Satz 3
AÜG eindeutig festgeschrieben, dass Ar-
beitnehmerüberlassung nur mit Arbeit-
nehmern durchgeführt werden kann. Die
Überlassung von Freelancern ist keine
Arbeitnehmerüberlassung. Die Bußgeld-
androhung wurde allerdings merkwür-
dig formuliert: Ordnungswidrig handelt
nach § 16 Abs.1 Nr. 1b AÜG, wer einen
„Arbeitnehmer“ entgegen § 1 Abs. 1 Satz
3 AÜG überlässt oder tätig werden lässt.
Auf den ersten Blick kann dieser Tatbe-
stand also nie erfüllt werden. Ob sich
die Rechtsprechung daran hält, wird nie-
mand gerne abwarten wollen.
Definition im Gesetz, Problem bleibt
In agilen Projekten können diese Risiken
beim Einsatz von Drittkräften nur signi-
fikant begrenzt werden, wenn sowohl in
der Vertragsgestaltung als auch in der
praktischen Umsetzung vermieden wird,
dass der agile Projektvertrag als Arbeit-
nehmerüberlassung eingestuft wird.
Das allerdings ist leichter gesagt oder
geschrieben als getan. Denn obwohl
Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerüber-
lassung seit dem 1. April dieses Jahres
gesetzlich definiert sind, bleibt vieles
unklar. Der Gesetzgeber hat lediglich
die von der Rechtsprechung verwende-
ten allgemeinen Abgrenzungskriterien
mehr oder weniger exakt in das Gesetz
geschrieben. Eine sichere Beurteilung
der einzelnen Fälle ist so nicht möglich.
Positiv formuliert berücksichtigt und
bewertet die Rechtsprechung jeden kon-
kreten Einzelfall umfassend.
Leitgedanke ist, dass Arbeitnehmer­
überlassung dann angenommen wird,
wenn dem Kunden Arbeitnehmer zur
Verfügung gestellt werden, die in des-
sen Betrieb eingegliedert werden und
ihre Arbeit nach den Weisungen des
Kunden und in dessen Interesse aus-
führen. Als wesentliche Kriterien wur-
den die Ausübung des arbeitsbezogenen
Weisungsrechts und die Eingliederung
in die betriebliche Organisation des
Kunden festgelegt.
Im Falle eines Dienst- oder Werkver-
trags hingegen organisieren die Vertrags-
partner des Kunden ihre Leistung nach
ihren eigenen betrieblichen Vorausset-
zungen. Sie bleiben für die Erfüllung der
Dienstleistung oder die Herstellung des
Werks verantwortlich. Die eingesetzten
Drittkräfte unterliegen den arbeitsrecht-
lichen Weisungen des Vertragspartners
des Kunden. Dabei werden die arbeits-
vertraglichen von den dienst- oder werk-
bezogenen Weisungen unterschieden.
Unter den arbeitsvertraglichen Wei-
sungen werden solche hinsichtlich
des Inhalts und der Durchführung der
jeweils anstehenden Arbeiten sowie
Zeit und Ort der Tätigkeit betreffend
verstanden (§ 611a Abs. 1 Satz 1 BGB).
Weisungen, die den Vertragsgegenstand
(also die Dienstleistung oder das Werk,
zum Beispiel bestimmte Fertigungsme-
thoden, Qualität, Reihenfolge der Arbeit,
Stückzahlen) betreffen, sind dem Kun-
den unbenommen. Allerdings ist die
Grenze nicht immer scharf zu ziehen,
es gibt Überschneidungen (mehr dazu
bereits in Ausgabe 10/2015, Seite 68 ff.).
Zudem haben Arbeits- und Sozialge-
richte die Oberbegriffe in einer Vielzahl
einzelner Kriterien bewertet (siehe Kas­
ten zu den Unterscheidungskriterien).
Hundertprozentige Rechtssicherheit ist
schon in herkömmlichen Gestaltungen
kaum noch zu erlangen. Viele größere
Unternehmen haben bereits Richtlinien
zum Umgang mit Drittkräften erstellt
oder erarbeiten sie gerade. Häufig sind
diese Richtlinien jedoch an einem klas-
sischen Drittkräfteeinsatz orientiert.
Gängige Richtlinien gefährden Scrum
Agile Projekte leben hingegen von ei-
ner engen Zusammenarbeit zwischen
den internen und externen Kräften im
Entwicklungsteam, ganz besonders
Scrum. Viele Unternehmensrichtlini-
en für Drittkräfteeinsatz berücksich-
tigen diese Projektentwicklungsform
nur unzureichend. Das kann zu gro-
ßen Umsetzungsschwierigkeiten in
agilen Projekten führen. Den externen
Teammitgliedern müssen zuweilen
fest definierte Aufgaben im Sinne ei-
nes Werks zugeteilt werden, sie dürfen
nur noch sehr begrenzt „on site“ tätig
werden, die Kommunikation im Team
zwischen Externen und Internen wird
eingeschränkt. Mit anderen Worten: So
manche Drittkräfterichtlinie gefährdet
letzten Endes die Umsetzung von agilen
Projekten oder den Einsatz von Scrum.
Notwendig ist eine Reihe der „norma-
len“ Vorgaben solcher Richtlinien im Zu-
sammenhang mit Scrum nicht. Die Idee
von Scrum ist, die Mitglieder des Ent-
wicklungsteams von vielen Bindungen
einer starren Unternehmensstruktur
zu trennen und ihnen große Autonomie
zuzubilligen. Die Grenzen herkömmli-
cher Unternehmensstrukturen werden
gelockert, die Arbeitsweise wird verän-
dert. Mit anderen Worten wird die ar-
beitsvertragliche Bindung gelockert, die
Drittkraft weniger in die Unternehmens-
Um arbeitsrechtliche
Risiken bei Scrum zu
meiden, ist auf die sau-
bere Trennung zwischen
Product Owner, Scrum
Master und Entwick-
lungsteam zu achten.
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