69
„Durchschreiten der Außentür“ gleich-
zusetzen. Die Richter begründeten dies
mit der Anwendung der Theorie von
der objektiven Handlungstendenz mit
folgenden Worten: „Als sich der Kläger
vom Spitz- auf das Flachdach herab-
ließ, diente diese Verrichtung allein der
Fortbewegung auf der Strecke zum Ort
der versicherten Tätigkeit, weil er sei-
ne Wohnung durch das Dachgeschoss-
fenster nur deshalb verlassen hatte, um
seine Betriebsstätte aufzusuchen und
dort einen geschäftlichen Termin wahr-
zunehmen. Andere konkurrierende Be-
weggründe (zum Beispiel die Befreiung
aus dem eingeschlossenen Wohnraum,
Imponiergehabe, Übermut, Nachweis
turnerischer Gewandtheit, und so wei-
ter) sind nicht festgestellt.“
BSG, Az. B 2 U 2/16 R; Vorinstanz:
LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 17 U 313/14
Waschmaschinenfall: Unfall zu Hause
Im letzten Fall am „Tag des Wegeunfalls“
hatte sich das BSG mit einem Sachver-
halt beschäftigt, der vom Gesetz eigent-
lich gar nicht vorgesehen ist: die Frage,
wie ein Weg innerhalb eines Gebäudes
zu bewerten ist, in dem ein Versicher-
ter wohnt und gleichzeitig arbeitet. Eine
Entscheidung, die für Homeoffice-Unfäl-
le von Bedeutung ist.
In dem konkreten Fall wollte eine Ver-
sicherte in ihrer Wohnung, die gleich-
zeitig Arbeitsstätte war, Arbeitskleidung
aus der Waschmaschine holen. Sie erlitt
im privaten Flurbereich des Hauses ei-
nen Unfall. Auch hier musste das BSG
entscheiden, ob seine Theorie von der
objektiven Handlungstendenz eine
Bewertung als Arbeitsunfall zulässt,
wenn äußere Kennzeichen, die mit dem
Durchschreiten der Außentür vergleich-
bar sind, fehlen. Die Richter stellten
dazu zunächst klar: „Die für Betriebs-
wege aufgezeigte Grenzziehung durch
die Außentür des Wohngebäudes greift
nicht, wenn sich sowohl die Wohnung
des Versicherten und seine Arbeitsstät-
te im selben Haus befinden.“ Dennoch:
Ob ein Weg im unmittelbaren Unter-
nehmensinteresse zurückgelegt wird
und deswegen im sachlichen Zusam-
menhang mit der versicherten Tätigkeit
steht, bestimme sich auch hier nach der
objektivierten Handlungstendenz des
Versicherten. Es komme also darauf an,
ob der Versicherte bei der zum Unfaller-
eignis führenden Verrichtung eine dem
Unternehmen dienende Tätigkeit ausü-
ben wollte und diese Handlungstendenz
durch die objektiven Umstände des Ein-
zelfalls bestätigt wird. Entscheidend sei
daher, welche konkrete Verrichtung mit
welchem Zweck die Klägerin in dem Mo-
ment des Unfalls ausübte.
Anders, als es das BSG beispielsweise
beim Semmelfall gesehen hat, reicht in
den Homeoffice-Fällen offenbar die Fest-
stellung des inneren Entschlusses aus,
sich auf den Weg zu einer versicher-
ten Tätigkeit gemacht zu haben. Daher
nahm das BSG im konkreten Fall an,
dass ein Arbeitsunfall vorlag. Denn das
Waschen von Geschäftstextilien gehöre
zu den Aufgaben, die im Interesse des
Unternehmens liegen.
BSG, Az. B 2 U 9/16 R; Vorinstanz:
LSG Baden-Württemberg, Az. L 10 U 1241/14
THOMAS MUSCHIOL
ist Rechtsanwalt mit
Schwerpunkt Arbeits- und Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.