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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
dokumentiert sein“. Entscheidend soll
also sein, wann der Versicherte nach au-
ßen dokumentiert, dass er sich wieder
in Richtung seines ursprünglichen Ziels
bewegen will. Hand aufs Herz bevor Sie
weiterlesen: Ist der Unfall nach dem ge-
scheiterten Semmelkauf noch einem un-
versicherten Privatweg oder wieder dem
versicherten Arbeitsweg zuzuordnen?
Entscheiden Sie sich für einen Versi-
cherungsschutz, so gehen Sie mit den
Richtern des Bayerischen Landessozi-
algerichts konform. Denn diese stellten
fest, dass der Kläger durch die Umkehr
vor dem vollen Bäckerladen wieder in
Richtung seiner Arbeitsstätte unter-
wegs war. Da dieser auch noch glaub-
haft versicherte, dass er nicht noch in
ein anderes Lebensmittelgeschäft habe
gehen wollen, da ihm das pünktliche
Erscheinen an der Arbeitsstelle beson-
ders wichtig war, stehe sein „äußeres
Handeln mit seiner inneren Tendenz –
zur Arbeit gelangen – in Einklang“. Das
LSG argumentierte weiter: „Unter Her-
anziehung des Grundsatzes der objek-
tivierten Handlungstendenz“ sei damit
im Augenblick der Kapitulation vor der
langen Verkaufsschlange die Absicht do-
kumentiert, den privaten Semmelkauf
aufzugeben und den versicherten Weg
wieder aufzunehmen.
BSG: Auto spielt tragende Rolle
Dieser Ansicht haben sich die entschei-
denden Richter am Bundessozialgericht
jedoch nicht angeschlossen, sie erweiter-
ten die Theorie zur Handlungstendenz
um eine zusätzliche Voraussetzung. Die-
se lautet im Ergebnis: Bei Wegstrecken,
die mit dem Auto zurückgelegt werden,
ist das Fahrzeug als „weiteres objekti-
ves Kriterium zur Wiederbegründung
des Versicherungsschutzes einer das
Ende der Unterbrechung nach natürli-
cher Betrachtungsweise markierenden
Handlung heranzuziehen“. Mit anderen
Worten: Wer aus einer Autofahrt heraus
seinen Arbeitsweg unterbricht, dessen
versicherter Weg beginnt erst wieder,
wenn er wieder in sein Fahrzeug ein-
gestiegen ist. Dies gilt auch dann, wenn
er seine „Umkehrabsicht“ – wie von der
Vorinstanz angenommen – schon vorab
erfolgreich unter Beweis gestellt hatte.
Die BSG-Richter ließen sich vom „Vor-
rang der Autofahrt“ auch nicht mit dem
Argument abbringen, dass so die Bewer-
tung von Wegeunfällen davon abhängen
kann, obderWeg zurArbeit fußläufigoder
mit dem Auto zurückgelegt wird. So neh-
men sie in Kauf, dass der Unfall, wäre der
Mitarbeiter zu Fuß unterwegs gewesen,
als Arbeitsunfall hätte gelten müssen.
BSG-Urteil,Az.B2U1/16R;Vorinstanz
Bayerisches LSG, Az. L3 U 402/13
Metzgereifall bestätigt Semmelurteil
Auch im „Metzgereifall“ Fall hat sich das
BSG mit einem Sachverhalt befasst, der
auf Arbeitswegen typisch ist. Das liest
sich in der Sprache der Bundesrichter
wie folgt: „Die Versicherte sah auf ih-
rem Nachhauseweg eine Metzgerei, gab
ihrem Hungergefühl nach und hielt ihr
Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand an.“
Anders als im Semmelfall musste sie
hier aber noch nicht einmal die Straße
überqueren, sondern ging nur wenige
Schritte bis zu einer Metzgerei, wo sie
einen Einkauf tätigte. Dann ging sie wie-
der zu ihrem Fahrzeug, wo sie – auf dem
Bürgersteig stehend – die Beifahrertür
öffnete, die eingekauften Nahrungsmit-
tel auf dem Beifahrersitz abstellte und
die Tür wieder verschloss. Anschließend
stolperte sie jedoch auf dem Weg zur
Fahrertür und verletzte sich.
Auch hier blieb das BSG bei seiner kon-
sequenten Auffassung zum Wegeunfall
im Zusammenhang mit einer Autofahrt.
Analog zum Semmelfall bestanden die
Richter auch hier darauf, dass erst durch
das Einsteigen und das Platznehmen auf
dem Fahrersitz die „Handlungstendenz
auch nach außen erkennbar wieder da-
rauf gerichtet sei, den ursprünglichen
versicherten Weg wiederaufzunehmen“.
Zwar habe die Versicherte ihre Einkäufe
Nicht nur beim Wegeunfall, sondern auch bei „echten“ Arbeitsunfällen stellt sich
manchmal erst Jahre später heraus, ob es sich tatsächlich um einen Arbeits- oder um
einen Privatunfall gehandelt hat. Dennoch sind notwendige Behandlungen gesichert.
Wenn ein Unfall passiert, sollen die Betroffenen selbstredend nicht darunter leiden,
wenn sich die verschiedenen Leistungsträger über ihre Zuständigkeit nicht einig sind.
Dies gilt gerade dann, wenn aufgrund von schweren Unfallfolgen Spezialoperationen
oder Reha-Maßnahmen notwendig sind. Betroffene dürfen insoweit nicht mit dem
Hinweis, es müsse erst die „Zuständigkeit abgeklärt werden“, von Heilbehandlun-
gen ausgeschlossen werden. Für diese Fälle kann die Anwendung einer Vorschrift
aus dem Sozialgesetzbuch I zusätzlich helfen und insbesondere dazu führen, dass in
streitigen Fällen zunächst Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung angefordert
werden können – auch wenn sich später herausstellen sollte, dass tatsächlich „nur“
ein Privatunfall anzunehmen ist.
In § 43 SGB I heißt es: „Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen
mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist, kann der unter
ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren
Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Leistungen nach Satz 1
zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt; die vorläufigen Leistungen beginnen
spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.“
Wer leistet, wenn keiner leisten will
HINWEIS
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