personalmagazin 12/2017 - page 47

47
12/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
oder Verantwortung geknüpft zu sein.
Hierin liegt aber auch die Schwäche des
Modells: Denn oft können Unternehmen
die Expertenrolle damit nicht ebenso
attraktiv wie eine Führungsrolle gestal-
ten. Nicht zuletzt deswegen mögen Ex-
pertenlaufbahnen im Pseudomodell aus
Unternehmenssicht auf den ersten Blick
wenig sinnvoll anmuten.
Die negative Konnotation kann in der
Umsetzung allerdings ins Gegenteil ge-
kehrt werden – wie bei Netflix in den
USA: Im Zuge der Entwicklung seiner
Werte und Unternehmenskultur veröf-
fentlichte der Video-Streaming-Anbieter
seine Philosophie in Form eines weg-
weisenden Dokuments „Netflix Culture:
Freedom and Responsibility“. Im Kern
fordert Netflix darin von seinen Mitar-
beitern hohe Eigenverantwortung im
Handeln und fördert deren individu-
elle Weiterentwicklung auf Basis der
Leistung, die sie erbringen. Zumindest
theoretisch ist dieses Vorgehen also
eine außerordentlich erfolgreiche Um-
setzung des Pseudomodells, da das
Unternehmen damit jeden Mitarbeiter
als Experten mit hohem Entwicklungs-
potenzial betrachtet. Netflix setzt dieses
Modell mit einer überdurchschnittlichen
Grundvergütung in Kombination mit
dem Fokus auf der individuellen Wei-
terentwicklung um. Das Aufsteigen auf
der Karriereleiter ist beispielsweise mit
nicht-monetären Incentives wie Job-Ti-
teln verbunden.
Das Beispiel zeigt, wie stark die erfolg-
reiche Implementierung eines Modells
von der Unternehmenskultur, -strategie
und -größe abhängt. Eine Expertenlauf-
bahn kann bestehende Laufbahnmodel-
le um neue Perspektiven für Experten
ergänzen – sofern sie passend für das
Unternehmen umgesetzt wird.
Expertenrollen attraktiv gestalten
Doch nicht nur die genannten Experten-
laufbahnen selbst können die Experten-
rolle aufwerten. Auch mit Maßnahmen
rund um Incentives, Weiterbildung und
die Möglichkeit zum Mitentscheiden las-
sen sich ähnliche Effekte erzielen – ent-
weder alleine oder in Kombination mit
einer bestehenden Expertenlaufbahn.
Im Bereich Incentives können Unter-
nehmen beispielsweise Spot-Boni nutzen,
um kurzfristige Zielerreichungen ihrer
Experten zu belohnen. Darüber hinaus
motiviert eine langfristige Entwicklungs-
planung mit fachlicher Zielsetzung und
einem hohen Grad an Eigenverantwor-
tung beim Umsetzen der Expertenaufga-
ben. Nicht zuletzt können Statussymbole
(wie Titelbezeichnungen, die mit denen
von Führungspositionen vergleichbar
sind) und zusätzliche Benefits (wie bei-
spielsweise Dienstwagen), ein hohes Maß
an Eigenverantwortung in der Gestaltung
des Arbeitsalltags oder die Vergabe von
Einzelbüros zur Aufwertung der Exper-
tenrolle beitragen.
Ebenso eignen sich dafür auch Wei-
terbildungen – schließlich zeichnen
sich Experten dadurch aus, dass sie ihre
fachlichen Qualifikationen immer weiter
ausbauen möchten. Unternehmen kön-
nen ihnen Fortbildungen über eine re-
gelmäßige Beteiligung an Seminaren und
Schulungen ermöglichen. Eine geschätz-
te, jedoch selten angewandte Maßnahme
ist die Rotation von Experten innerhalb
der Organisation, aber auch zu Partner­
unternehmen. Einen Positionswechsel
(zumal mit neuem Arbeitsumfeld) sehen
die Experten meist als willkommene He-
rausforderung an. Auch die Teilnahme an
Tagungen und Kongressen – als Referent
oder als Teilnehmer – unterstützt den bei
Experten beliebten Wissens- und Erfah-
rungsaustausch auf Augenhöhe.
Wertschätzung können Unternehmen
ihren Experten auch zeigen, wenn sie sie
inhaltlichmehr einbinden. Eine Möglich-
keit ist, sie an strategischen Entschei-
dungsprozessen teilhaben zu lassen.
Dies kann geschehen, indem Experten
Positionen in unternehmensweiten Gre-
mien einnehmen. Je nach Karrierestufe
können sie so das Management bis hin
zum Vorstand beraten. Experten erhal-
ten so entscheidenden fachlichen Ein-
fluss in strategischen und operativen
Fragen. Erweiterte inhaltliche Verant-
wortung kann man Experten mit frei
verfügbaren Budgets für Forschung und
Entwicklung geben. Wer Experten eigen-
verantwortlich über finanzielle Mittel
entscheiden lässt, offenbart Wertschät-
zung und Vertrauen und wertet so die
Expertenrolle deutlich auf.
Großer Wurf oder Einzelschritte?
Die genannten Maßnahmen können so-
wohl einzeln implementiert als auch in
Verbindung mit einer bestehenden Ex-
pertenlaufbahn umgesetzt werden. Und
auch hier gilt wieder: Unternehmens-
größe, -kultur und -strategie spielen eine
maßgebliche Rolle dabei, wie die Maß-
nahmen umgesetzt werden.
Bei kleinen Unternehmen und begrenz-
ten Budgets können einzelne Maßnah-
men ein erster Schritt zur Bindung von
Experten sein. Aber: Die erfolgreiche
Einführung einer Expertenlaufbahn
setzt eine Mindestzahl an Mitarbeitern
voraus. Große Unternehmen können mit
den einzelnen Maßnahmen Schritt für
Schritt das gesamte Portfolio umsetzen.
Dabei können sie Rahmenbedingungen
für eine erfolgreiche Ausgestaltung der
Expertenlaufbahn und zusätzlich er-
wünschte Anreize schaffen.
LEON JACOB
ist Manager
bei der HKP Group.
FRANK GIERSCHMANN
ist
Partner bei der HKP Group.
Wer Experten eigenver-
antwortlich über finan-
zielle Mittel entscheiden
lässt, offenbart Wert-
schätzung und Vertrau-
en und wertet so die
Expertenrolle auf.
1...,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46 48,49,50,51,52,53,54,55,56,57,...84
Powered by FlippingBook