personalmagazin 12/2017 - page 36

36
MANAGEMENT
_PERSONALDIAGNOSTIK
personalmagazin 12/17
warten. Denn immerhin nutzen viele
Organisationen im deutschsprachigen
Raum durchaus Kompetenzmodelle und
Instrumente zur Potenzialanalyse in der
Personalauswahl und -entwicklung. Da-
mit dürften doch die Risiken für perso-
nelle Fehlbesetzungen minimiert sein,
oder etwa nicht?
Unsere Erfahrungen der vergangenen
zehn Jahre und auch die Studienlage aus
unseren Forschungsprojekten sprechen
leider eine andere Sprache: Nicht nur,
dass viele HR-Manager noch nie von
der DIN 33430 gehört haben, also von
jener Norm, die die Anforderungen an
die berufsbezogene Eignungsdiagnostik
festlegt. Auch ein Großteil der verwen-
deten Kompetenzmodelle ist heute – gut
zehn Jahre nach der harschen Kritik
des einflussreichen Psychologen Heinz
Schuler – aus methodischer Sicht noch
immer auf steinzeitlichem Niveau. So
zeigte eine Studie des Privat-Instituts für
Qualitätssicherung in Personalauswahl
und -entwicklung (IQP) jüngst, dass nur
eines von zwanzig Unternehmen metho-
disch hohen Qualitätsmaßstäben bei der
Entwicklung eines Kompetenzmodells
und auch beim Kompetenzmodell selbst
genügt.
Evidenzbasierte Potenzialdiagnostik:
Wo bleiben die Nachweise?
Die Gretchenfrage in Sachen Metho-
denqualität geht über die Betrachtung
der Qualität von Kompetenzmodellen
hinaus. Sie lautet: Gibt es fundierte
Nachweise dafür, dass das Ergebnis
der eingesetzten Potenzialdiagnostik
tatsächlich mit der beruflichen Bewäh-
rung zusammenhängt? Zwei konkrete
Beispielfragen hierzu:
• Gibt es belastbare Zusammenhänge
zwischen dem Ergebnis eines Assess-
ment Centers mit der späteren beruf-
lichen Leistung, der Zufriedenheit,
Gesundheit oder anderen relevanten
Faktoren?
• Ist für jedes Merkmal des eingesetz-
ten Persönlichkeitstests überhaupt be-
kannt, welche Ausprägung (sehr gering
bis sehr hoch) im Job förderlich oder
hinderlich ist?
Arbeitet man den Kern dieser Fragen
für die Potenzialdiagnostik heraus, lässt
sich die Debatte um People Analytics,
Predictive Analytics und Big Data auf ei-
nen zentralen Begriff herunterbrechen:
Validität. Es geht schlicht und ergreifend
um den datenbasierten Nachweis dazu,
dass sich die Potenzialbeurteilungen
mithilfe eines bestimmten Instruments
später auch bewahrheiten. Damit ist
diese Debatte eben keine rein akade-
mische mehr, sondern „die Sprache der
Geschäftswelt“, wie Cascio es formu-
lierte – es geht schließlich um gute oder
schlechte Investitionen.
Doch wie lassen sich die Validität und
daran anschließend auch die Wirtschaft-
lichkeit der verschiedenen Instrumente
beurteilen? Bei dieser Frage ist vor allem
wichtig, welche Bewertungskriterien die
HR-Manager heranziehen oder vielmehr
heranziehen können. Eine Orientie-
rungshilfe hierzu soll das „Fünf-V-Mo-
dell der Potenzialdiagnostik“ geben, das
im gleichnamigen Kasten dargestellt ist.
Wir unterscheiden in diesemModell fünf
aufeinander aufbauende Vertrauensstu-
fen (Level), nach denen die Validität
eines potenzialanalytischen Instruments
beurteilt werden kann: Auf jedem Level
vertraut der HR-Manager – hier ein-
mal angenommen: kein Psychologe mit
Schwerpunkt Berufseignungsdiagnostik
– einer bestimmten Datenquelle, wobei
die Qualität der jeweiligen Datenquellen
von Level eins bis fünf steigt. Diese fünf
Gütelevel stellt der Kasten „Fünf-V-Mo-
dell der Personaldiagnostik“ am Beispiel
eines Persönlichkeitstests dar.
Welcher Datengrundlage vertraut
werden kann
Aus unserer Erfahrung und unserer
Forschung können wir sagen, dass die
meisten potenzialanalytischen Vorha-
ben leider nicht über Level zwei in un-
serem Fünf-V-Modell hinauskommen.
So sind den Praktikern eher selten die
einschlägigen Metaanalysen (Level 3)
bekannt und noch seltener stellen die
Anbieter Studienergebnisse mit einer
Stichprobe von idealerweise tausenden
Berufstätigen aus unterschiedlichen
Unternehmen zur Verfügung (Level 4).
Solche Fallzahlen wären nach wissen-
schaftlichen Kriterien notwendig, um zu
zeigen, dass die konkreten Ergebnisse,
die ein jeweiliges Instrument erzeugt,
tatsächlich mit der beruflichen Bewäh-
rung zu tun haben.
Der Goldstandard aus Unternehmens-
sicht sollte jedoch auch nicht die von
Wissenschaftlern so hoch geschätzte
Metaanalyse sein. Denn diese analy-
siert ein Mischmasch aus Merkmalen,
Instrumenten und anderen Parametern,
die im Zweifel nichts mit dem vorlie-
genden Instrument des Anbieters und
wenig bis gar nichts mit der Realität in
der eigenen Organisation zu tun haben.
Vielmehr sollten die Arbeit mit den Da-
ten der eigenen Mitarbeiter und auch
die eigenen Kennzahlen für Leistung,
Zufriedenheit, Gesundheit und so weiter
im Fokus stehen. So lassen sich konkrete
Fragen unmittelbar im eigenen Unter-
Es geht schlicht und
ergreifend um den
Nachweis, dass sich die
Potenzialbeurteilungen
mithilfe eines bestimm-
ten Instruments später
auch bewahrheiten.
ADD-ON
In unserer App finden Sie einen grafi-
schen Überblick zu einigen Ergebnissen
der im Text genannten Studien.
1...,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35 37,38,39,40,41,42,43,44,45,46,...84
Powered by FlippingBook