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            RECHT
          
        
        
          _MASSENENTLASSUNG
        
        
          personalmagazin  02/17
        
        
          geben werden, sondern auch die Kündi-
        
        
          gungsfrist. Nach dem Gesetz muss jedoch
        
        
          weder das Datum der Kündigung angege-
        
        
          ben werden (sondern nur der Zeitraum
        
        
          der beabsichtigten Entlassungen), noch
        
        
          die entsprechende Kündigungsfrist.
        
        
          Meist sind deutlich weniger Mitar-
        
        
          beiter in einer Berufsklasse als in einer
        
        
          Berufsgruppe. Außerdem werden durch
        
        
          das Datum der Kündigung und die unter-
        
        
          schiedliche Kündigungsfrist die Mitar-
        
        
          beiter nach der im Formular der Agentur
        
        
          angelegten Tabelle so weit aufgeschlüs-
        
        
          selt, dass im Prinzip jeder Mitarbeiter
        
        
          einzeln erfasst werden müsste.
        
        
          Dilemma: neues Formular ignorieren
        
        
          oder Zurückweisung riskieren
        
        
          Dieses Vorgehen widerspricht den Vorga-
        
        
          ben des § 17 KSchG, der die Angabe der
        
        
          Mitarbeiter zusammengefasst in Berufs-
        
        
          gruppen verlangt und ist im Übrigen vom
        
        
          Aufwand her auch kaum praktikabel. Ar-
        
        
          beitgeber stehen nun vor dem Dilemma,
        
        
          entweder durch weitgehendes Ignorieren
        
        
          des Formulars beziehungsweise der Liste
        
        
          der Agentur für Arbeit Probleme mit der
        
        
          Agentur zu bekommen oder durch Erfül-
        
        
          lung der Agentur-Vorgaben gegebenen-
        
        
          falls später im Kündigungsschutzprozess
        
        
          wegen Nichterfüllung der Vorgaben des
        
        
          § 17 KSchG zu scheitern. Dadurch wird
        
        
          die Erstattung einer ordnungsgemäßen
        
        
          Massenentlassungsanzeige weiter er-
        
        
          schwert. Nicht nur die Rechtsprechung
        
        
          zieht regelmäßig neue Voraussetzungen
        
        
          für die Massenentlassung und die Kon-
        
        
          sultation nach § 17 Abs. 2 KSchG ein,
        
        
          nun schlägt auch die Agentur für Arbeit
        
        
          in dieselbe Kerbe. Die Agentur verhält
        
        
          sich wie der Gesetzgeber und stellt Anfor-
        
        
          derungen an die Massenentlassungsan-
        
        
          zeige, die im Gesetz nicht angelegt sind.
        
        
          Hier stellt sich für den Arbeitgeber die
        
        
          Frage, „welchen Tod er sterben möchte“.
        
        
          Ignoriert er das neue Formular, erlangt
        
        
          die Agentur für Arbeit nicht mehr die
        
        
          aus ihrer Sicht erforderlichen Informa-
        
        
          tionen und weist mit einer gewissen
        
        
          Wahrscheinlichkeit die Anzeige als feh-
        
        
          lerhaft zurück. Allerdings müsste eine
        
        
          gerichtliche Überprüfung dies gerade-
        
        
          rücken, sofern die Vorgaben des KSchG
        
        
          erfüllt sind. Bis zu diesem Zeitpunkt
        
        
          jedoch, bleibt die Erstattung der Anzei-
        
        
          ge angreifbar; darüber hinaus muss ein
        
        
          (zusätzliches) Widerspruchsverfahren
        
        
          geführt werden. Allerdings wird die
        
        
          Wirksamkeit der Kündigungen nicht von
        
        
          der Agentur, sondern von den Arbeits-
        
        
          gerichten geprüft. Daher wäre grund-
        
        
          sätzlich eher der Streit mit der Agentur
        
        
          für Arbeit im Widerspruchsverfahren
        
        
          zu führen, statt die Kündigungen an den
        
        
          Vorgaben des § 17 KSchG im Arbeitsge-
        
        
          richtsverfahren scheitern zu lassen.
        
        
          Was tun? Im Zweifel alles angeben
        
        
          oder auf Pflichtangaben beschränken?
        
        
          Erfüllt man die Vorgaben der Agentur
        
        
          und des § 17 KSchG, wird ein Großteil
        
        
          der Angaben doppelt beziehungsweise
        
        
          „freiwillig“ zu viel gemacht und so der
        
        
          Angriff auf die Massenentlassungsan-
        
        
          zeige durch die Arbeitnehmer erleich-
        
        
          tert. Gleichwohl scheint das der einzige
        
        
          Weg zu sein, allen Seiten gerecht zu
        
        
          werden. Die Agentur für Arbeit findet
        
        
          sich ebenso darin wieder wie aber auch
        
        
          der Gesetzgeber, auf den es bei einer
        
        
          gerichtlichen Überprüfung ja in letzter
        
        
          Konsequenz ankommt.
        
        
          Alle drei vorgenannten Lösungen (An-
        
        
          gaben nach § 17 KSchG; Angaben nach
        
        
          dem Formular der Agentur; doppelte
        
        
          Angaben, um beide Voraussetzungen
        
        
          erfüllen) schützen nicht vor Problemen.
        
        
          Daher ist zu hoffen, dass ein mutiger Ar-
        
        
          beitgeber die hier vertretene Rechtsauf-
        
        
          fassung – das heißt die Beschränkung
        
        
          auf die bisherigen Pflichtangaben – bald-
        
        
          möglichst „durchstreitet“, um Klarheit
        
        
          zu schaffen.
        
        
          Das BAG hat sich oft mit den Anforderungen an das Konsultationsverfahren beschäf-
        
        
          tigt. Welche Auswirkungen das neue Formular der Agentur in diesem Bereich hat.
        
        
          Die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsbeteiligung im sogenannten Konsul-
        
        
          tationsverfahren ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige
        
        
          sowie der Kündigungen. Insoweit stellt das ordnungsgemäße Konsultationsverfahren ein
        
        
          separates Wirksamkeitserfordernis dar (BAG vom 20.1.2016, Az. 6 AZR 601/14). Neben
        
        
          der Unterrichtung des Betriebsrats ist nun auch die Beratung mit dem Betriebsrat über die
        
        
          Massenentlassung erforderlich (BAG vom 22.9.2016, Az. 2 AZR 276/16).
        
        
          Soweit zur Unterrichtung des Betriebsrats das neue Formular der Agentur für Arbeit
        
        
          herangezogen wird, stellt sich die Frage, ob die Unterrichtung über Berufsklassen mit
        
        
          der Unterrichtung über die Berufsgruppen nach § 17 KSchG gleichgesetzt werden kann.
        
        
          Aufgrund der strengen Anforderungen der Rechtsprechung in diesem Bereich halten wir
        
        
          dies für fraglich. Zwar kann eine Heilung der nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung über
        
        
          die Berufsgruppen durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats in Betracht
        
        
          kommen (BAG vom 9.6.2016, Az. 6 AZR 405/15). Allerdings gilt dies nur bei vollstän-
        
        
          diger Betriebsschließung. Daher stellt sich auch hier die Frage, ob nun dem Betriebsrat
        
        
          zur Unterrichtung doppelte Dokumente zur Verfügung zu stellen sind – einmal mit den
        
        
          Angaben nach § 17 KSchG und einmal mit den von der Agentur geforderten Angaben.
        
        
          Auswirkung auf Konsultationsverfahren
        
        
          
            PRAXIS
          
        
        
          
            DR. ANNE DZIUBA
          
        
        
          ist
        
        
          Fachanwältin für Arbeitsrecht
        
        
          und Partnerin bei der Beiten
        
        
          Burkhardt Rechtsanwaltsge-
        
        
          sellschaft mbH in München.
        
        
          
            DR. KATHRIN BÜRGER
          
        
        
          ist Partnerin bei der Beiten
        
        
          Burkhardt Rechtsanwaltsge-
        
        
          sellschaft mbH in München.