personalmagazin 2/2017 - page 34

personalmagazin 02/17
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
34
MANAGEMENT
_FLÜCHTLINGSINTEGRATION
schauen, womit wir Erfolg haben, und
dann den Differenzierungs- und Quali-
fizierungsgrad anpassen.
personalmagazin:
Klingt logisch, kommt
aber bei den Unternehmen etwas wirr an.
Esser:
Die Betriebe müssen nicht alle
kommunizierenden Röhren des Berufs-
bildungssystems kennen. Sie greifen am
besten auf ihre Unterstützungsstruktur
vor Ort zurück. Die Handwerkskammern
und die Industrie- und Handelskammern
am Firmenstandort sind die richtigen
Dienstleister. Aber ich will hier auch ein-
mal eine Lanze brechen für die Bundes-
agentur für Arbeit und das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge. Die leisten
– sozusagen im Backoffice – Erhebliches.
Das BIBB ist Teil dieser Netzwerkstruktur.
personalmagazin:
Machen die vielen föde-
ralen Netzwerke das Ausbildungssystem
nicht zu langsam für Geflüchtete und
Firmen?
Esser:
Wer gedacht hat, dass Menschen
aus Kriegsgebieten nach einem halben
Jahr integriert sind, ist einem naiven
Irrglauben aufgesessen. Wir haben ein
anspruchsvolles Ausbildungssystem für
komplexe Berufe. Da braucht es Zeit,
bis einer das Sprachniveau beherrscht,
das die Grundlage für weiteres Lernen
und Integration bildet. Es braucht aber
neben dem Unterricht auch die Chance,
Beziehungen aufzubauen. Es ist eine alte
pädagogische Weisheit, dass zwischen-
menschliche Beziehungen den Lernerfolg
erhöhen.
„Gegen naiven Irrglauben“
INTERVIEW.
BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser warnt vor überzogenen Erwartun-
gen: Die Integration von Geflüchteten in die Arbeitswelt braucht Zeit und Gründlichkeit.
personalmagazin:
Der Hermann-Schmidt-
Preis des Vereins „Innovative Berufs-
bildung“ ging im November 2016 mit
einem Sonderpreis an eine ehrenamtliche
Gemeinschaftsinitiative in Frankfurt, die
junge Zuwanderer und Geflüchtete in Ar-
beit bringt. Sind Profis nicht erfolgreicher?
Friedrich Hubert Esser:
Wir brauchen das
Ehrenamt und deshalb würdigen wir es.
Die Menschen bringen oft neben starkem
Engagement eine hohe Expertise mit –
Lehrer genauso wie Betriebsmitarbeiter
unterschiedlicher Professionen, die das
neben ihrer beruflichen Tätigkeit oder
als bereits Pensionierte in ihrer Freizeit
tun. Ehrenamtlich Tätige unterstützen die
Geflüchteten ganz konkret vor Ort, das ist
ein sehr wichtiger Beitrag. Wir bleiben
dagegen bei unseren Berufsbildungsthe-
men. Die Anerkennung ausländischer
Berufsqualifikationen, der Übergang
Schule – Beruf, die Berufsvorbereitung
für junge Menschen, die in der Schule ge-
ringe Erfolge vorweisen können, und die
Qualifikation von Migranten – zu diesen
Themen haben wir schon gearbeitet, als
noch keine Flüchtlinge kamen.
personalmagazin:
Wollen die jungen Men-
schen, die zu uns kommen, denn eine
Ausbildung machen?
Esser:
Manche ja, bei anderen bedarf es
Überzeugungsarbeit. Viele Geflüchtete
wollen und müssen ihre Familien, die
im Heimatland zurückgeblieben sind,
unterstützen. Eine Ausbildungsvergü-
tung ist dafür häufig zu niedrig. Deshalb
müssen wir sie davon überzeugen, dass
ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt
ohne eine Ausbildung gering sind und
sie erst mit einer fundierten Qualifi-
zierung Perspektiven in Deutschland
entwickeln können. Dazu müssen wir
ihnen Lösungen anbieten. Wir haben
zum Beispiel das Instrument der Teil-
zeitausbildung, das wir für junge Eltern
entwickelt haben. Das kann man auf
Geflüchtete übertragen, die dann neben
der Ausbildung jobben können, um Geld
für die Familie zu verdienen.
personalmagazin:
Welche weiteren Instru-
mente eignen sich für Geflüchtete?
Esser:
Die assistierte Ausbildung und die
Sprachförderung lassen sich anpassen
an die aktuelle Situation. Wir müssen
Das Interview führte
Ruth Lemmer.
PROF. DR. FRIEDRICH HUBERT ESSER
ist
seit 2011 Präsident des Bundesinstituts für
Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Der 57-Jährige
ist gelernter Bäcker, Diplom-Kaufmann und
promovierter Wirtschaftspädagoge.
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...84
Powered by FlippingBook