personalmagazin 2/2017 - page 36

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MANAGEMENT
_HR GOVERNANCE
personalmagazin 02/17
B
etriebliche Führungssysteme
oder -modelle sind grundsätzli-
che Festlegungen für die Perso-
nalführung in einer konkreten
Organisation oder Organisationseinheit.
Damit wird sozusagen die Verfassung
der Personalführungsarbeit beschrie-
ben. Als wichtiger Teil der normativen
Unternehmensführung, der Corporate
Governance, lassen sich betriebliche
Führungsmodelle auch unter den Begriff
„HR-Governance“ fassen. Abzugrenzen
sind diese grundlegenden Strukturen
von den Detailregelungen der Führungs-
infrastruktur, also zum Beispiel von den
Arbeitszeit- und Gehaltssystemen.
Wo Menschen arbeitsteilig tätig sind,
existiert in Bezug auf die Personalfüh-
rung auch ein Führungsmodell im Sinne
normativer Vorgaben. Manche Organisa-
tionen gehen hier systematisch vor und
entwickeln ein konkretes Modell, das bis
ins Kleinste schriftlich fixiert wird. Idea-
lerweise dient es tatsächlich als Bezugs-
Von
Boris Kaehler
und
Jens Nachtwei
Wegweiser für die Führung
HINTERGRUND.
Das Führungssystem beeinflusst die Führungsqualität im Unter­
nehmen. Damit kann ein gemeinsames Verständnis von guter Führung entstehen.
punkt der strategischen und operativen
Personalarbeit. Das ist allerdings eher
die Ausnahme. In den meisten Fällen
besteht das faktische Führungsmodell
aus ein paar knappen Grundsätzen und
infrastrukturellen Festlegungen, zum
Beispiel in Stellenanforderungen oder
Gesprächsleitfäden. Diese entfalten de
facto normativen Charakter, ohne freilich
dafür gemacht zu sein. Hier prägt also die
Summe der Werkzeuge das System – und
nicht umgekehrt. Mancherorts besteht
das Führungssystem wiederum aus rein
informellen kulturellen Mustern und ge-
wohnheitsmäßigen Routinen.
Die Tradition der Führungsgrundsätze
Die Beschäftigung mit betrieblichen
Führungsgrundsätzen, -modellen oder
-systemen hat Tradition. Sie wurde im
deutschsprachigen Raum in den 1960er-
und 70er-Jahren in vielen Großunter-
nehmen praktiziert und später in der
Literatur aufgegriffen, unter anderem
vom Wirtschaftswissenschaftler Rolf
Wunderer. Es ging damals darum, die als
ineffektiv erkannten, tradierten Muster
von Befehl und Gehorsam aufzubrechen.
An ihre Stelle sollten modernere Konzep-
te der Selbststeuerung und dezentralen
Entscheidungsfindung treten. Pate stan-
den dabei theoretische Ansätze wie das
„Harzburger Führungsmodell“ und das
„Management by Objectives and Self-
Control“ sowie entsprechende Vorläufer
im militärischen Bereich. Diese neuen
Prinzipien galt es mithilfe normativer
Vorgaben strukturell zu verankern und
kulturell durchzusetzen. Im Grunde sind
betriebliche Führungsgrundsätze seither
fester Bestandteil der Managementlitera-
tur und -praxis. Immer wieder einmal
entwickeln jedoch auch „HR-Trendsetter“
innovative Führungsmodelle, so zum
Beispiel Google – heute Alphabet – mit
dem 2009 gestarteten „Project Oxygen“,
mit dem das Unternehmen empirisch
begründete Führungsgrundsätze auf-
gestellt hat. Allerdings entstehen die-
se Modelle in der Regel im Kontext der
Führungskräfteentwicklung und legen
den Fokus vor allem auf Führungskräfte,
weniger auf Personaler als Führungsun-
terstützer oder auf Mitarbeiter als Selbst-
führende. Wieder andere Modelle haben
zwar einen umfassenderen Anspruch,
sind aber einer abstrakten „Leitbild-Rhe-
torik“ verhaftet, die nicht geeignet ist,
wirklich verhaltensprägend zu wirken.
Linie für die Personalführung
Der gleiche Themenkomplex wird auch
unter dem Begriff „HR Governance“
diskutiert. Abgeleitet aus dem überge-
ordneten Konzept der Corporate Gover-
nance, geht es hier um die Steuerung und
Kontrolle der Personalaktivitäten einer
Organisation sowie die konstituierenden
Linien der Personalführungsarbeit. Der
Begriff wird jedoch sehr unterschiedlich
aufgefasst: Tatsächlich werden in Pra-
xis und Literatur vor allem die Aufbau-
organisation der Personalfunktion, die
Personalabteilungen, einschließlich der
Errichtung gesonderter „HR Councils“
dikutiert. Daneben geht es etwa um die
Kontrolle der Personalinvestitionen,
Compliance- und Risikofragen sowie
Vergütungssysteme. Einige Autoren be-
trachten auch die Anwendung von Füh-
Gute betriebliche Füh-
rungssysteme lassen
Raum für Individualität,
aber nicht für Willkür —
sie müssen klare Struk-
turen bereitstellen, die
für alle gelten.
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