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10/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Durchschnitt der Vergütung ganz anders
sein kann. Der Median der Vergütung
weiblicher oder männlicher Beschäf­
tigter kann identisch sein, auch wenn
männliche Beschäftigte durchschnittlich
mehr verdienen – und mehr noch: Der
Median weiblicher Beschäftigter kann
über dem Median männlicher Beschäf­
tigter liegen, obwohl diese durchschnitt­
lich weniger als Männer verdienen.
Praktische Fragen zum Prüfverfahren
So wie das Entgeltprüfungsverfahren
normiert ist, wird es „dead letter law“
sein. Denn das Verfahren soll ausdrück­
lich nur freiwillig erfolgen – so wird es
ein Unternehmen jedoch nicht durch­
führen (können). Dies liegt vor allem an
§ 20 Abs. 2 Satz 1: „Die Beschäftigten
sind über die Ergebnisse des betriebli­
chen Prüfverfahrens zu informieren“.
Wenn das Prüfverfahren keinerlei
Diskriminierung ergibt, ist es letztlich
entbehrlich; offenbart es aber eine Dis­
kriminierung, dann sind zwingend die
Beschäftigten zu informieren und so
wird eine Klagewelle hinsichtlich mög­
licher Nachforderungsansprüche bis zu
den Grenzen der Verjährung ausgelöst.
Ein Personaler könnte eine solche Einla­
dung zur Klage nicht aussprechen, wenn
er sie nicht aussprechen muss – schlicht
weil er sich haftbar machen würde. Das
Unternehmen kann also nur verlieren.
Die neuen Aufgaben des Betriebsrats
Zu den allgemeinen Aufgaben des Be­
triebsrats gehört die Durchsetzung der
Gleichstellung von Frauen und Männern
(§ 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG). Ergänzt
wird dies nun durch §§ 13, 14 Abs. 1, 15
Abs. 2 EntgTranspG: Der Betriebsrat, ist
grundsätzlich für die Beantwortung des
Auskunftsverlangens zuständig. Aus­
nahmen gelten für leitende Angestellte
und sofern kein Betriebsrat existiert.
Der Arbeitgeber ist imRahmen der An­
wendbarkeit des Gesetzes verpflichtet,
dem Betriebsausschuss die Entgeltlisten
so aufzubereiten, dass dieser in die Lage
versetzt wird, die Auskunft erteilen zu
können. Dies erfordert insbesondere die
Ermittlung des Vergleichsentgelts nach
§ 11 Absatz 2 EntgTranspG. Dazu wird
eine auf Vollzeitäquivalente hochgerech­
nete und nach Gehaltshöhe sortierte Auf­
listung benötigt. Der Arbeitgeber muss
dem Betriebsausschuss dabei lediglich
Einsicht gewähren und Notizen ermög­
lichen, nicht aber die Erstellung von
Fotokopien. Der Betriebsrat muss den
Arbeitgeber in anonymisierter Form
über das Auskunftsverlangen eines Ar­
beitnehmers informieren.
Kommt der Betriebsrat seiner Pflicht
nur fehlerhaft nach, werden etwaige
Regressforderungen nach § 23 BetrVG
regelmäßig mangels Vorsatz scheitern.
Der Betriebsrat kann verlangen, dass
der Arbeitgeber die Auskunftsverpflich­
tung übernimmt, wenn dem Betriebsrat
dies aufgrund der Umstände des Ein­
zelfalls geboten erscheint. Andererseits
kann auch der Arbeitgeber selbst die
Auskunftspflicht generell oder nur in
Einzelfällen an sich ziehen (§ 14 Abs. 2
EntgTranspG). Dann hat er den Betriebs­
rat rechtzeitig über eingehende Aus­
kunftsverlangen und die entsprechende
Antwort in Kenntnis zu setzen. Auch das
Einsichtsrecht des Betriebsrats wird da­
durch grundsätzlich nicht berührt.
Falsche oder verweigerte Auskunft
Nach § 15 Abs. 5 soll der Arbeitgeber in
tarifanwendenden Betrieben die Beweis­
last dafür tragen, dass kein Verstoß ge­
gen das Gebot der Entgeltgleichheit vor­
liegt – wenn er seine Auskunftspflicht
nicht erfüllt. Laut Gesetzesbegründung
„orientiert“ sich die Norm an § 22 AGG.
Das ist Unfug. Sie hat nichts mit der
europarechtlich gebotenen und ihrer
Struktur nach sinnvollen Regelung des
§ 22 AGG zu tun, sondern trifft eine
davon gänzlich unabhängige Sanktions­
regelung. Die Beweislastregelung des §
22 AGG bezieht sich allein auf die Frage
der Rechtfertigung einer Ungleichbe­
handlung. Beim EntgTranspG geht es
aber um die Feststellung, ob überhaupt
eine Ungleichbehandlung vorliegt. Das
ist etwas ganz anderes und es bleibt of­
fen, in welchemAusmaß durch die unter­
lassene Auskunft die Beweislast erfüllt
ist. Geht danach der Arbeitnehmer oder
die Arbeitnehmerin mit einer beliebigen
Summe angeblicher Gehaltsdifferenz
in das gerichtliche Verfahren, soll der
Arbeitgeber auch gegenüber einer frei
behaupteten Differenz die Beweislast
tragen? Er müsste damit eine negative
Tatsache vortragen, was prozessual mög­
lich ist, aber nach allgemeinen Regeln
nicht ohne qualifizierten Vortrag der Ge­
genseite verlangt werden kann.
Zudem ist unklar, wie lange diese
Sanktion wirken soll und ob sie auch bei
bloß falscher, nicht aber verweigerter
Antwort gilt. Hat etwa eine Arbeitneh­
merin vor einigen Jahren ein unbeant­
wortetes Auskunftsverlangen gestellt,
kann sie sich dann bis zur Verjährungs­
grenze des Auskunftsanspruchs auf eine
Beweislastverlagerung berufen?
§ 22 AGG trifft eine prozessuale Re­
gelung, die den Vortrag im Prozess
verlangt. § 15 Abs. 5 ist eine reine Sank­
tionsregelung, die materielle Wirkung
hat. Das ist etwas ganz anderes.
Zweifel an Verfassungsmäßigkeit?
Bei welchem Gesetz kann man solche
Zweifel ausschließen? Irgendwelche An­
knüpfungspunkte mag man immer fin­
den, beim EntTranspG aber sind diese
deutlich: So ist etwa fraglich, ob nicht-
tarifgebundene Arbeitgeber in ihrer
negativen Koalitionsfreiheit ohne hin­
reichende Rechtfertigung beeinträchtigt
werden. Denn Tarifanwender werden
vom Gesetz in vielerlei Hinsicht bevor­
zugt, um schlicht die Tarifbindung at­
traktiver zu machen. Gesetzesprivilege
als Anreiz zur Organisation? Das ist
zweckwidrig. Es gibt auch keine Steuer­
erleichterung für Tarifanwender.
PROF. DR. GREGOR THÜSING
ist Direktor des Instituts für
Arbeitsrecht an der Universität
Bonn.
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