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RECHT
_SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT
personalmagazin 10/17
D
ass ein Betriebsprüfer Feh-
ler in der Berechnung von
Abzügen für die gesetzliche
Sozialversicherung entdeckt,
darauf dürften auch gut geschulte Ent-
geltabrechner gefasst sein. Unvorberei-
tet kann es sie jedoch treffen, wenn sie
der Betriebsprüfer mit Rechnungen aus
der Finanzbuchhaltung konfrontiert und
ihnen damit vorwirft, nicht falsch, son-
dern „gar nicht“ gerechnet zu haben.
Mit anderen Worten: Der Prüfer ver-
tritt die Auffassung, ein Vertrag oder
mehrere Verträge mit Selbstständigen
seien als sozialversicherungsrechtliche
Beschäftigungsverhältnisse zu bewer-
ten. Somit läge sogenannte Scheinselbst-
ständigkeit vor. Wenn diese Ansicht in
Von
Thomas Muschiol
einen Betriebsprüfungsbescheid mün-
det, besteht dieser meist aus zwei Teilen:
•der Feststellung, dass die vom Unter-
nehmen als selbstständige Tätigkeiten
angesehenen Vertragsverhältnisse tat-
sächlich sozialversicherungsrechtliche
Beschäftigungsverhältnisse sind und
•der Verpflichtung, für den nachgeprüf-
ten Zeitraum Beiträge zur Sozialversi-
cherung nachzuentrichten.
Bleibt die Frage: Wie groß sind die
Chancen, erfolgreich gegen einen Be-
triebsprüfungsbescheid vorzugehen?
Es wäre fatal, sich alleine darauf zu fo-
kussieren, was gegen den ersten Teil
des Bescheids – also gegen die Statusbe-
urteilung – eingewendet werden kann.
Denn häufig werden in diesem Bereich
nur geringe Erfolgsaussichten bestehen.
Anders kann die Antwort jedoch mit
Blick auf den zweiten Teil des Bescheids
ausfallen. Die hier vorgebrachten Ein-
wendungen können auch und gerade
dann wirken, wenn der Statusbeurtei-
lung wenig entgegenzusetzen ist.
Prüfungsbescheid: Der Blick voraus
Das Zustellungsdatum des Betriebsprü-
fungsbescheids stellt eine entscheiden-
de Zäsur für die Frage der Angriffsmög-
lichkeiten im Rechtsmittelverfahren
dar (siehe Grafik). Es gilt zunächst, den
Blick nach vorne zu richten und zu ver-
meiden, dass die Feststellungen des Be-
triebsprüfers weitere Kosten auslösen.
Dies geschieht dann, wenn das aufge-
deckte Vertragsverhältnis noch besteht
und weitergeführt werden soll, weil da-
von zum Beispiel der Erfolg eines Pro-
jekts abhängt. Natürlich ist es möglich,
Die zwei Seiten des Bescheids
ÜBERBLICK.
Stellen Betriebsprüfer fest, dass ein Unternehmen Scheinselbstständige
beschäftigt, kann sich ein genauer Blick auf den Betriebsprüfungsbescheid lohnen.
Der Blick zurück: Vielfältige Angriffsmittel
Auch wenn der Streit um die Statusfeststellung selbst verloren
scheint, kann sich ein Streit zur Beitragsseite eines Prüfungs-
bescheids lohnen, insbesondere mit Blick auf die Aspekte:
•
Verjährung
•
Vertrauensschutz nach § 45 SGB X
•
Einwendungen gegen Säumniszuschläge
•
Einwendungen gegen die Beitragshöhe
Der Blick in die Zukunft:
Alles oder nichts
Hier streitet das Unternehmen
vor allem um den Status des
angeblich Scheinselbstständigen.
Dabei bedarf es eines langen
Atems, die DRV akzeptiert selten
erstinstanzliche Urteile.
VORGEHEN GEGEN PRÜFUNGSBESCHEIDE
Beginn der Tätigkeit
als beabsichtigter
Selbstständiger im
Unternehmen
Betriebsprüfer sieht
keine selbststän-
dige Tätigkeit
PRÜFUNGSBESCHEID
enthält Statusfest-
stellung und Bei-
tragsnachforderung
QUELLE: AUTOR